Skandinavien 5.-7.Tag

22. Juli 2016

Wie ist denn das nun hier mit dem Radfahren in Schweden?
In den Städten sind Rad- und Fußwege miteinander kombiniert, das ist einerseits sehr tolerant, andererseits macht es die Verkehrsführung besonders an Kreisverkehren etwas unübersichtlich. Ach, jetzt geht es da drüben auf der linken Seite weiter, kann man das nicht vorher ankündigen??? Radfahrer dürfen auch die Fußgängerüberwege (Zebrastreifen) benutzen und brav bremsen alle Autos. Man fährt auch links gegen die Fahrtrichtung, Hauptsache die Radfahrer sind runter von der Straße … Von Süd nach Nord bis hoch oben nach Haparanda an der finnischen Grenze wird das Land von der E 4 durchpflügt, die meist auobahnmäßig ausgebaut ist und oft ist dann natürlich Radfahren dort verboten. Es wäre auch nicht sehr attaktiv angesichts der  Verkehrsflut. Dies führt nun aber  dazu, dass man mehr oder weniger große Umwege fahren muss. Über nette Sträßchen, die alte Reichsstraße oder aber auch ungepflasterte Waldwege (also fester Lehm mit etwas Schotter und zum Glück  wenigen Schlaglöchern). Dafür aber munter hoch und runter über die Berge. Die ragen zwar topografisch nicht sehr hoch, aber es fühlt sch für mich an wie in Ontario. Und es zerrt an meiner Kondition, wenn ich mal wieder schieben muss, weil ich unterhalb von 5,5 km/h den Lenker  nicht mehr gerade halten kann.
Heute kam ich an den Punkt, and dem ich definitiv auf die Autobahn MUSSTE. Sonst wäre der Umweg riesig geworden. Und siehe da, wenn man muss, darf man auch. Zumindest fehlt dann das Radverbotsschild. Aber eben auch ein passabler Seitenstreifen. Also immer schön auf den 20 cm rechts der weißen Linie lang balancieren, was bergauf ein richtiger Drahtseilakt ist. Zum Glück wurden die schwedischen Autofahrer zur höflichen Rücksichtnahme erzogen, sie lassen auf „normalen“ Straßen schon mal 2 m Platz beim Überholen. Aber auf der E4 kollidieren Enge und Tempo. Nach etwa 12 km ein Schild: Campingplatz! Mir reichte es erst mal. Nichts wie runter!


Fortsetzung

Skandnavien, 2.-5. Tag

21.Juli 2016
Ich bin inzwischen nach 438 km in Sundsvall gelandet bei den Eltern von Fredrika Ek, eine junge Frau, die gerade mit dem Fahrrad die Welt umrundet und jetzt in Australien ist (www.thebikeramble.com). Sie hat mir hier eine Übernachtung ermöglicht. So spannt man weltumspannende Kontakte! wp-1469087505131.jpeg

Ich schaue zurück auf die letzten Tage: Die Route, die ich geplant habe, lässt sich im Wesentlichen gut fahren und führt über Nebenstraßen und manchmal relativ glatte Waldwege durch das wilde Schweden. Durchschnitten wird alles durch die autobahnmäßig ausgebaute E4, auf der Radfahren verboten ist (wäre bei dem dort herrschenden Verkehr auch nicht angenehm). Ich fühle mich noch lange nicht fit, die ständigen Steigungen zehren an meinen Kräften…, gestern waren es 112 km, aber ich hatte mich bei den Ek’s ja ngekündigt.
Das Problem mit dem schief eingeschraubten Pedal konnte ich lösen, indem ich es einfach mal von der Rückseite richtig einschraubte und damit das verkorkste Gewinde wieder zurück in seine Form „zwang“. Ich habe ja genug Zeit nachzudenken, ein Fahrradmechaniker hätte mir sicher einen kompletten neuen Kurbelsatz angedreht. Und das Ventilproblem? Nun, als ich noch mal nachpumpen wollte, war Schluss — ffffft – Schlauch wechseln. Ich stand aber vor einem Haus und fragte, ob ich das mal hier reparieren kann und, mit Blick auf die Uhr, ob ich hier eventuell im Garten zelten könnte, zum nächsten Campingplatz waren es noch 30 km. Die Frau telefonierte mit ihrem Mann und sagte zu. So hatte ich eine luftmatratzenweiche Wiese unter meinem Zelt …
Gestern versuchte ich ein weiteres USB Kabel in einem Städtchen zu kaufen. Der Ladenbesitzer griff eins, das zu passen schien, dann brachte er es zur Kasse und stellte fest, dass sie gerade nicht funktioniert. Daraufhin schenkte er mir das Kabel. Ich lachte und meinte, „na hoffentlich funktioniert die Kasse heute noch mal!“ Abends musste ich dann leider feststellen, dass das Kabel doch nicht passt. Tja… auf ein Neues. Steckdosen auf Campingplätzen sind hier rar und ich brauche 3 Kabel, wenn ich 3 Geräte gleichzeitig nachladen will, um z.B. diesen Blog zu schreiben.

Skandinavien 1.Tag

Der Ankunftstag, 16.Juli 2016

Das war ja ein Anfang in Schweden! Auf dem Flughafen, als ich mein Fahrrad wieder fertig machen wollte, stellte ich fest, dass meine neue Luftpumpe nicht zu den Ventilen passte! Wie krieg ich jetzt wieder Luft in die Schläuche? Meine verzweifelten Versuche mündeten darin, dass ich die Ventilköpfe verbog. Dann erst fiel mir ein, dass ich ja einen Adapter haben könnte. Ich kramte in der nie benutzten Tüte nach und siehe, da war einer, der passte notdürftig noch auf die verbogenen Köpfe. Ein Ventil konnte ich auswechseln, mehr hatte ich nicht. Immerhin. Dann passierte es mir noch, dass ich bei den Stress das linke Pedal schief einschraubte und auch bei einem erneuten Versuch nichts mehr daran ändern konnte. Ich musste aber los, wenn ich vor 16 Uhr noch Uppsala erreichen wollte um mir eine SIM Karte und Gaskartouchen zu kaufen…. (Es war Samstag!) Ich versuchte also, so schnell es mit fast zu wenig Luft und durch Wald und Heide ging, Uppsala per Rad zu erreichen, da der Flughafenzubringer aus unerfindlichen Gründen keine Fahrräder aufnehmen darf. 16 Uhr 05 war ich dann am Telius- Laden und konnte gerade so mit dringlichem Lächeln den Verkäufer zum Öffnen bewegen und eine SIM- Karte erstehen… Dann die Gaskartouchen gekauft und auf zum Camping, wo ich mich neben einem amerikanischen Radfahrer- Pärchen plazierte. Ich erzählte ihm von meinem Ventilproblem und er lieh mir seine Pumpe. Mit dem Ergebnis, dass ich zwar mehr Luft reinbekam, aber beim Abziehen brach der Ventilkopf gleich mal ganz ab…. Immerhin, mehr Luft war erst mal drin. Ich war todmüde und hungrig, also erst mal was Einkaufen und dann was Essen, ab in den Schlafsack.
Fortsetzung folgt.

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Skandinavien 2016

Am 16.07.16 flog ich nach Stockholm Arlanda und begann meine Tour durch Schweden und Finnland.

Mein Plan war,  vom Flughafen mit dem Zubringer direkt nach Uppsala zu fahren und von dort nach Norden aufzubrechen.
Die geplante Strecke war anspruchsvoll, weniger vom Schwierigkeitsgrad her, sondern mehr von der Länge innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit. Gut 2000 km würden es werden, wenn ich wie geplant den Bottnischen Meerbusen nördlich umrunde. Die Eckpunkte waren Gävle – Umea- Lulea (das ist etwa der halbe Weg) – Haparanda (Grenze zu Finnland) und dann auf dem kürzesten Weg, quer durch Finnland nach Helsinki, wo am 12.August meine Fähre nach Deutschland ablegte. Mehr Urlaub konnte 2016 nicht nehmen.

Ich hatte Skandinavien gewählt, weil es mich am ehesten in Kanada erinnert, mit der Architektur der Häuser und langen, relativ einsamen Strecken. Wie es mir dort ergangen ist, lesen Sie in den folgenden Kapiteln.

Uppsala 2010

Uppsala 2010, als ich es auf dem Weg zu den Aland-Inseln durchquerte.

Weiter 

British Columbia – Start im Westen

22.Mai 2015, 6.00 Uhr Ortszeit in Vancouver.

Ich kann nicht mehr schlafen und sitze am Wohnzimmertisch meiner Gastgeberin Sharon. Vorgestern kam ich hier auf die Minute pünktlich auf dem Flughafen Vancouver an. Mein Gepäck und das Rad war unbeschädigt (4 Fahrradtaschen in einem Polyestersack fest verstaut und eine am Rad festgezurrt).

Ich brauchte eine Weile, bis ich alles ausgepackt und wieder zusammengesetzt hatte, denn nach über 12 Stunden Flug war ich gestresst und übermüdet. Dann endlich zum Zoll. Die Zöllnerin stellte sich mir in den Weg als wollte ich sie umgehen. Warf dann einen kurzen Blick auf meine Zollerklärung und ließ mich ohne weitere Fragen passieren.Und ich hatte eine zeitraubende Kontrolle befürchtet… Aber ich war auch der letzte Fluggast, und die wollten wohl endlich Feierabend machen. Auf dem Bahnsteig des Skytrains sprache mich eine ältere Dame gezielt an, ob ich jetzt Kanada durchqueren wolle. Ich fragte sie, woher sie das wüsste. Sie meinte, das hätte sie allein und vor über 20 Jahren gemacht!  Meine Gastgeberin Sharon erwartete mich schon und hatte etwas zum Essen zubereitet, obwohl das nicht zu ihrem Angebot gehört. Sharon ist ene sehr sportbegeisterte ältere Lady, vermutlich weit über 70, die erst vor 10 Jahren das Radfahren entdeckte, nachdem sie in ihrem Leben etliche andere Sportarten betrieben hatte. Jetzt ist eines ihrer Hobbies Radfahrer aus aller Welt über warmshowers.org zu beherbegen. Ich habe ein eigenes Gästezimmer und ein eigenes (!) Bad.

Sharon

Sharon

Gestern dann bin ich 45 km kreuz und quer durch Vancouver gefahren. Es ist eine erstaunliche Stadt voller Kontraste: Üppige Parks mit Bäumen, die deutlich höher sind als in Deutschland, Wolkenkratzer, aber mit viel Grün dazwischen, alles wirkt geplant, durchdacht und nicht so wildwüchsig wie in den USA. Südlich des Zentrums Straßen über Straßen, ein Netz aus Alleen mit Einfamilienhäusern, wie über die wellige Landschaft geworfen, ein ständiges Auf und Ab. Man baut meistens mit Holz, auch heute noch.

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27. Mai 2015

Seit genau einer Woche bin ich nun in Kanada und seit meinem Start von Vancouver am 23. „on the road“. Zuerst die sehr mühseligen 31 km zur Fähre und zu meinen Gastgebern in Namaimo. Mühselig, weil es auf dem Marine Drive ständig so steil auf und ab ging, so dass ich mehrfach schieben musste, um die Fähre um 19.30 Uhr noch zu erreichen. Ich schaffte es und enterte das Schiff … als Letzter, nachdem ich mich auf dem Terminalgelände auch noch verlaufen hatte. Die knapp 2- stündige Fahrt über die Strait of Georgia entschädigte mit mystisch-wolkigem Himmel zwischen bergigen Inseln und einer Ankunft mit Sonnenuntergang. Kiersten und Danny erwarteten mich schon.

Bis nachts um halb eins unterhielten wir uns angeregt. Beide waren mit einem selbst gebautem Trike schon in Deutschland und der Schweiz unterwegs, nur dieses Jahr klappt es nicht, sie werden Großeltern im Sommer. Dann wartete ein „königliches“ Bett auf mich. Morgens gab es ein deutsches Frühstück, aber das, so meinten sie, machten sie immer so.

Dann ging es weiter heftig bergauf und bergab, und ich fühlte mich sehr gefordert, denn ich war ja noch gar nicht daran gewöhnt, meinen „Lastesel“ mit dem ganzen Expeditionsgepäck über steile Hügel hoch und runter zu treiben. Diese Art Bergtraining ist in Berlin und Umgebung ja auch gar nicht möglich. Das brachte dann meinen Plan völlig durcheinander. Oder besser meine Schreibtischplanung. Denn ich wollte ja noch hoch in den McMillan Provincial Park wegen der riesigen Redwoods. Später gibt es auf den Strecken durch Kanada keine mehr, und ich musste ja auch die Fähre nach Prince Rupert schaffen – oder eine Woche warten. Spätestens an der Abzweigung zu Highway 4 musste ich eine Entscheidung fällen, aber angesichts des Umwegs und drohender 250 m bergauf entschied ich: Heute nicht! Morgen extra und ohne Gepäck! So machte ich es dann, suchte mir einen Campingplatz und ruhte  mich aus.

Der Platzwart nahm freundlicherweise am nächsten Morgen mein Gepäck in Verwahrung und so „düste“ ich dann zu den Redwoods die 27 km bergauf und wieder runter.

Ein Märchenwald – aber auch ein Stück weit Naturlehrpfad, durch eine verkehrsreiche Straße geteilt. Ich war jedenfalls beeindruckt. Dann wieder runter, das ging natürlich schneller. Und weiter mit Gepäck, noch 30 km bis Mud Bay, dem letzten Campingplatz vor Courtenay.

Von dort aus ging es weiter nach Norden. Die Strecke führte an der Küste entlang. Ein „Kollege“ Radfahrer der in die andere Richtung fuhr und von Port Hardy kam, jünger und athletischer als ich und mit weniger Gepäck unterwegs, warnte mich vor anstrengenden Steigungen – selbst er hätte einige Male schieben müssen. Das beruhigte mich ungemein…

Dann traf ich Elaine aus Victoria, mindestens in meinem Alter  (64). Ich sah sie schon einige Kilometer lang vor mir und entschied sie nicht einzuholen, sondern abzuwarten, ob wir uns treffen. Tatsächlich machte sie irgendwann Pause und als ich bremste, hielt sie mir ihre fish’n ships Tüte hin. Nett. Wir plauderten ein Weilchen und verabschiedeten uns nach einiger Zeit. Später überholte sie mich. Ich war ihr wohl zu langsam.Sie war ja auch mit einem Rennrad unterwegs. Der Tag endete hinter Campbell River, erstmalig in einem Motel für 67 $.

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Salmonberries schmecken süß säuerlich und gelten als Bärenfutter nach dem Winter.

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Der Stanley Park enthält viele uralte Bäumme

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Start in Nanaimo

Start in Nanaimo – jetzt geht’s „richtig“ los.

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Strait of Georgia

02. Juni 2015, Terrace

Die letzten Tage: Hinter Campbell River ging es schon mal bis 250 m bergauf, bis zu einer Stelle namens Sayward Junction, wo ich mich noch nicht entschließen konnte, einen Wildniscampingplatz mit Trockenklo zu nutzen, sondern aus Angst vor nächtlichen Bärenbesuchen lieber den „ordentlichen“ Campingplatz um die Ecke auswählte. Wenn ich dann auf den Campingpätzen nach der Bärengefahr frage, dann lachen die mich aus oder machen eine sehr relativierende Bemerkung. Das wunderte mich nach allen Informationen, die ich vorher bekam, schon. So haben sie keine Vorrichtungen zum sicheren Verstauen von Nahrungsmitteln und geben auch keine Verhaltensempfehlungen.

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Da ist er, auf einm Rastplatz am Highway 19

Jedenfalls saß ich dort noch eine Weile frierend bei Sonne und eiskaltem Nordwind und versuchte erst mal vergeblich, ein Blog-Poblem zu lösen…

Am nächsten Tag ging es dann richtig über die Berge. Gleich nach Sayward-Junction war es so steil, dass ich gefühlte 2 km schieben musste. Dann ähnlich weiter, aber nicht mehr so steile Auf- und Abs. Unterwegs traf ich Loraine wieder, die ich zwei Tage vorher schon einmal traf und die mich (wie ich später feststellte) auf ihrem Blog verewigt hat. Loraines Blog

Das ist Elaine aus Victoria, diesmal kam sie mir entgegen..

Das ist Loraine aus Victoria, diesmal kam sie mir entgegen..

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Das Kreuz des Nordens?

Das Kreuz des Nordens?

Nachmittags kam ich dann in Woss (hinter den Bergen) an und trank einen Kaffee an der Tankstelle. 75 km und erst 16.30 Uhr, kein  Camping (oder vielleicht viel tiefer im Tal ?), also weiter zum Nimpkish See. Den erreichte ich dann so gegen 19 Uhr und fand einen völlig verwahrlosten ausser Betrieb befindlichen Platz vor, verwildert und vermodert. Ich war genervt und verärgert über die veraltete Information in Landkarten und auf Schildern. Mir blieb nichts übrig als mich mit der Situation abzufinden und sozusagen wild zu zelten. Meine Taschen mit Essen und Kosmetik verstaute ich sicher, indem ich sie mittels mitgebrachter Wurfleine in 5 m hoch über eine isolierte Elektroleitung warf und hochzog. Trotzdem schlief ich dann sehr unruhig, bis in der Morgendämmerung die Jeeps der Angestellten des nahen Sägewerkes kamen und mich mit ihren Geknatter endgültig weckten.

Weiter nach Port Hardy! Und dort am nächsten Morgen meine erste Schwarzbären-begegnung, als ich aus der Toilette des  Campingplatzes kam. Da stand er! Keine 50 m entfernt starrte er mich an. Und ich ihn. Nach 5 Sekunden verschwand er dann, vermutlich war ich zu uninteressant. Und ich hatte eine Gänsehaut am ganzen Koerper…

Die dann folgende 22-stündige Fährenfahrt nach Prince Rupert lasse ich nur über die Bilder wirken.

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Ich war zeitweilig so ergriffen, dass mir sogar die Tränen kamen…!

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Kurz hinter Prince Rupert

Nach der Ankunft in Prince Rupert fuhr ich schon am nächsten Tag weiter, denn das Städtchen lohnt sich wirklich nicht. Bis Terrace! 151 km um das Übernachten in der Wildnis zu vermeiden, denn in Terrace hatte ich Quartier bei Dean und Joanna (facebook lässt grüßen). Ich war fix und alle, es war 28 Grad warm und ich bin noch nie soweit in einem Stück gefahren. Aber es war herrlich, ich fühlte mich wie in Norwegen, immer im Tal des Skeena Rivers entlang umrahmt von schneebedeckten Gipfeln. Seht selbst.

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Entlang des Skeena River

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9.Juli 2015

Ich stelle gerade fest, dass mein letztes Update hier gar nicht erschienen ist. Ich erzählte von Bill Fell, der mich einfach von der Straße weg eingeladen hatte, in seinem selbst gebauten Waldhaus zu übernachten.

Lebenskünstler, Unternehmensberater, Zimmermann, Gärtner, Coach, Waldebwohner

Lebenskünstler, Unternehmensberater, Zimmermann, Gärtner, Coach, Waldbewohner

Sein Haus, selbst gebaut.

Sein Haus, selbst gebaut.

Das war sehr nett, aber auch etwas anstregend, weil ich mit meinem Englisch dann auf Dauer doch etwas überfordert war. Denn er redete wie ein Wasserfall und sehr intellektuell-akademisch…

Im Moment ist mein Datenvolumen arg strapaziert und deswegen hier ein paar Dinge „ohne Bild“. Z.B. das Wetter. Das Wetter wurde dieses Jahr extra für mich gemacht. Es hat bisher nämlich noch nicht geregnet, was hier selten ist. Und ich habe bis hier noch nie wirklich Gegenwind erdulden müssen, und wenn, dann nur an Stellen, wo es nichts weiter ausmachte – wie im Windschatten der Steigungen bergauf fahren und dann mit Gegenwind bergab. Heute sind es hier 26 °C, „hier“ ist 70 km vor Prince George oder 40 km hinter Vanderhoof, dem geografischen Mittelpunkt von British Columbia, einem Ort der Waldvernichtungsindustrie. Ich wurde heute von unzähligen Logging-Trucks hoch mit Holz beladen in einem Wahnsinnstempo überholt, da fegt es einen fast von der Straße! Besonders wenn die „shoulder“, also der Seitenstreifen, zu schmal geraten ist und die Kumpels Elefantenrennen veranstalten, dabei aber weder zur Mitte hin ausweichen noch etwa vor dem Überholen bremsen. Da heißt es Nerven und Lenker festhalten.

Die Landschaft hat sich von ursprünglich Hochgebirge, dann Mittelgebirge mit Hochgebirgsinseln (hier ein paar Gipfel, dort ein paar Gipfel) zu einer mäßig gewellten etwas langweiligen Waldlandschaft mit ein paar Seen mitten drin gewandelt. Aber die „richtigen“ Rockies kommen erst noch.

Bären: Ich habe gelernt, dass ich mich im Bärenland befinde und mit allem rechnen muss. Also Verhaltensmaßregeln beachten. D.h. nicht im Zelt essen oder mit bekleckerten Sachen dort aufhalten, Waschzeug duftet auch unwiderstehlich, darf also  auch nicht mit hinein. In der Wildnis soll man den ganzen Kram an einem hohen Ast aufhängen. Campingplätze sind ja nun eigentlich nicht wirklich „bärensicher“. Aber immer wenn ich nach der Bärengefahr fragte, wurde ich fast ausgelacht. OK, dachte ich, ich will mich ja nicht lächerlich machen, also fühle ich mich jetzt mal sicher. (Eigentlich sollten solche Plätze einen Bearsafe oder einen bärensicheren Lagerraum haben. Haben sie aber nicht, denn wer zeltet denn schon? Die meisten sind mit ihre dicken Campmobilen da.) Nachdem ich in Houston nachts erschreckt aufwachte, weil es klang als ob ein Bär mit der  Mülltonne auf dem Campingplatz spielte – und hatte ich da nicht noch restlichen Reis reingeschüttet? – lag ich dann fortan wach und spitzte die Ohren, machte mir Sorgen um meine „nur 20 m“ entfernt stehenden Essentaschen – aber am Morgen musste ich dann feststellen, dass da gar nichts passiert sein konnte, die Tonne stand da wie an Abend zuvor. Alles nur geträumt? Beim nächsten Platz bekam ich dann die Schlüssel zu einer leer stehenden Hütte, in der ich meine Taschen unterstellen konnte. Und heute, hier auf diesem mitten im Nichts befindlichen RV-Platz, habe ich mich mit meinen wohlhabenden Seniorennachbarn abgesprochen, dass ich die Sachen zu ihnen in den Superluxustrailer geben kann. Das war’s für heute.
(Später, im weiteren Verlauf der Reise wurde mir klar: Stehen ungesicherte Mülltonnen auf einem Campingplatz, dann brauche ich mir um Bären keine Sorgen zu machen.)

11.Juni 2015
Ich bin in Prince George seit gestern und mein Fahrrad erfreut sich einer Inspektion bei einem Fachmann, bevor das Hinterrad eine Acht bekommt – und die eigentlich neue Kette sollte auch ersetzt werden, sie hatte sich angewöhnt immer mal im unpassendsten Moment vorn herunter zu springen.

Das ist Nicole

Das ist Nicole

Das Herausfordernde an dieser Tour ist der ständige Kontrast zwischen dem starken Verkehr und der endlos erscheinenden Weite. Ich versuche immer mal Geräusche wie interessante Vogelstimmen aufzunehmen, aber es gelingt mir selten. Irgendwie merken die das und hören sofort auf – dann kommt wieder ein Truck von rechts … dann einer von links …. Ja manchmal auch ein paar Minuten gar keiner, aber dann ist auch der Vogel nicht mehr da, der wie vorhin reine Kadenzen flötete. Schade. Jetzt ein paar nette Bilder, z.B. vom winzigen Ort Rose Lake mit eigenem Friedhof und einer winzigen Badestelle, die auf Spendenbasis funktioniert. Zum Baden war es mir aber doch zu kalt.

Die Spendenbox steht rechts.

Die Spendenbox steht rechts.

Dann tauchte einmal ein bizarres Stück deutsche Heimatsehnsucht auf. Ich bremste und ein alter Mann kam herangeschlurft. Er lebt offenbar schon lange an dieser Stelle, war aber offenbar schwerhoerig und nicht sehr gesprächig.

Auch der Zaun darf nicht fehlen.

Auch der Zaun darf nicht fehlen.

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Ob das hinten links der Bären-Abwehr-Bär sein soll?

Manchmal gibt es auch ganz idyllische Campingplätze, wenn man den Ton weglässt. Zum Beispiel dieser hier am Fraser Lake. Hinter mir donnert der Strassenverkehr vorbei und vor dem See haben noch Güterzüge Platz. Die Plätze sind halt alle in Straßennähe, sonst findet sie ja keiner. Oder man müsste erst extra den Wald dafür roden.

Fraser-Lake am Abend.

Abendessen!

Abendessen!

Meine Lippenprobleme machen mir wieder zu schaffen, wie bei allen längeren Touren in den letzten Jahren. Nach spätestens zwei Wochen bricht der Herpes aus und alles entzündet sich. Jetzt versuche ich es mal mit einem Tuch gegen die Sonne.

Jawoll, das schaffe ich!

Jawoll, das schaffe ich!

19. Juni 2015

Ich bin schon gar nicht mehr in British Columbia, aber bevor ich mit Alberta beginne, hier ein paar Eindrücke der letzten Tage.
Nachdem ich Prince George verlassen hatte, fand ich nach 30 km Richard Riding, „Rick“, aus Großbritannien. Im Wald. Neben der Straße. Da zeltete er wild am Tage nach durchwachter Nacht, genervt weil sich am Vortag ein Blueberry-Pie in seiner Tasche verteilt hatte und er sich ewig mit Saubermachen aufgehalten hatte. Er war schon seit 4000 km von Alaska unterwegs und entschied kurzer Hand sich mir anzuschließen. Ich war überrascht, – aber warum nicht, wenn er doch schon so lange allein unterwegs ist? Das Ganze wurde für mich dann zu einem Bewusstseinstrainingsprogramm, denn der Kerl war stärker, jünger (50) und fitter als ich.  Und er hatte daher erst mal ein höheres Grundtempo. Schon waren sie da, meine inneren Stimmen: „Du bist zu langsam!“,“Du bist nicht fit genug!“, „So kommst du nie durch Kanada“. Aber er nahm erstaunlich viel Rücksicht. Obwohl wir uns so viel gar nicht zu sagen hatten… Merkwürdig. Das Ganze hielt mehr als drei Tage bis Mt.Roberts, wo er mich dazu brachte, mit Rad und Pack zum Lake Kinney hinauf zu hasten, auf einem Weg, der eher für Mountainbikes (ohne Gepäck) geeignet war…. Aber dank seiner Hilfe schaffte ich es zum wunderschönen See-Bergblick-Panorama. Am nächsten Morgen trennten wir uns dann, er wollte noch weiter hinauf, ich aber nicht. Er hat auch viel mehr Zeit, weil er seine Rückkehr nach Hause noch gar nicht geplant hatte. (Letzten Endes fuhr er weiter nach Lateinanmerika, lernte dort eine Frau kennen und lebt mir ihr inzwischen in Neuseeland …)

Rick

Rick

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Bärenbegegnung

Ein Bär macht sich in sicherer Entfernung von uns langsam davon.

Mogenstimmung am Lasalle Lake

Mogenstimmung am Lasalle Lake – der erste Zeltplatz am Ende einer 106 km langen Etappe. Hier trafen wir zwei deutsche Reiseradlerinnen, die aber nach Haida Gwaii wollten.

Kinney Lake mit Mt.Roberts

Kinney Lake mit Mt.Robson

Kinney Lake

Am Kinney Lake

So meine lieben Leser, über Alberta und meinen Kampf den Icefield Parkway hinauf durch das hochalpine Lanschaftstheater dann im nächsten Kapitel.

Kanada – Die Herausforderung

Ich musste verrückt sein. Mit 65 und wollte ich Kanada durchqueren. Von Vancouver über Port Hardy auf Vancouver Island, dann durch die Inside Passage mit der Fähre nach Prince Rupert, der nördlichsten Hafenstadt von British Columbia und dann quer durch den Rockies auf der bequemsten Route. Calgary, Winnipeg usw. bis ich nach mehr als 7000 km Halifax erreicht haben werde. Warum nicht mit dem Auto? Nein, selbst wenn ich einen Führerschein hätte, es wäre nur eine mäßige Herausforderung gewesen. War ich verrückt oder zu lange Zeit nicht verrückt genug gewesen?

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Warum Kanada?
Ich weiß es nicht mehr, aber schon länger als 10 Jahre spukt dieses Unternehmen in meinem Kopf herum. Ich habe keine Beziehung dorthin. Sieht man davon ab, dass ich mit der Zeit mehr und mehr gelesen habe und versucht habe, mich mit den Umständen dort vertraut zu machen. Vielleicht weil es kein Land ist, dem gegenüber ich bereits allzu viele negative Urteile habe.

Warum nicht die USA? Ich war schon zweimal da (einmal auch mit dem Rad) und mag zu vieles nicht. Und schon gar nicht die Paranoia der Homeland Security. Erinnert mich zu sehr an die Stasi. Ich mag auch keine dummen Fanatiker. Und auch nicht die oberflächliche Freundlichkeit – dieses Vortäuschen von Interesse um der Freundlichkeit willen. Außerdem bin ich auf 3 Monate begrenzt, – das ist mir zu wenig.

Warum nicht Europa? Also, die Länder in denen ich in Europa noch nicht war, kann ich fast an einer Hand abzählen. Da bleibt nicht viel.

Warum nicht Russland? Ich trinke keinen Wodka und habe keine Idee, wie einer, der wie ich mit Fahrrad fahrend auf Hilfe und Gastfreundschaft angewiesen ist, sich dagegen abgrenzen soll, ohne dass es als Kränkung aufgenommen wird. Andere, die dort waren, konnten mir auch keinen Rat geben. Also – dann eben nicht Russland.

Jetzt könnte ich noch weitere Warum-Nicht-Länder aufzählen, ich belasse es dabei.

Aber warum mit dem Fahrrad?
Nun, das ist mir schon vertraut, seit ich mit 18 Jahren eine 1.400 km lange Ungarnrundfahrt gemacht habe. Danach gab es nur wenige Jahre ohne Fahrradurlaub. Da ich bin ich dann durch Gebirge gewandert, bin bis zu 500 km auf Seen und Flüssen gepaddelt. Einen Tauchschein habe ich auch. Letzten Endes kann ich aber stolz darauf sein, schon fast 30.000 km Radtouren gemacht zu haben. Aber nie länger als 4 Wochen und nie länger als 1.800 km. Wenn ehrlich bin, bin ich weder besonders sportlich noch besonders mutig. Ich bin sogar ziemlich bequem und mache immer wieder Kompromisse, kürze Etappen oder vermeide Steigungen, stelle mich bei Regen lieber unter statt weiterzufahren. Zu dick war ich auch. Noch… Nein, nur um abzunehmen, wäre es zu viel Aufwand.
(Trotzdem war ich am Ende 11 kg leichter.)  Aber ich bin zäh und stur. Wenn die Steigung zu steil ist, schiebe ich eben, und wenn es noch so lange dauert.

Ich liebe wilde und freie Natur. Klaren Himmel, wie damals 1999 in Lappland. Klares Wasser. Stille. Freundliche, unaufdringliche Menschen. Und ich hatte Angst: Angst davor, dass ich nachts aus Furcht vor Bären nicht schlafen kann, Angst vor langen ermüdenden Etappen ohne ein Haus, ohne Zuflucht oder frisches Wasser, mitten im Nichts der Great Plains. Angst vor betrunkenen Truck Fahrern, die niemals ausweichen. Vor Mückenschwärmen und Black Flies. So winzig, dass man sie kaum sieht.

Ich wollte diese Herausforderung. Und ich bin sie angegangen. Wann, wenn nicht jetzt?

Wie alt sollte ich noch werden? Und vier Monate frei zu nehmen konnte ich mir erst jetzt leisten.

Das ist die eine Seite.
Die andere: Ich würde viel Zeit haben nachzudenken, fast schon zu viel. Nachdenken über mich, das Leben und ob oder was ich ändern will. Ohne fruchtlos zu grübeln. Ich würde voraussichtlich am Ende ein anderer sein als am Anfang. Vermutlich noch verrückter.

Erst einmal war ich damit beschäftigt meine Ausrüstung zu optimieren. Kompromisse leistete ich mir auf kürzeren Touren. Jetzt wollte ich es so perfekt wie möglich. Die beste Lösung ist die stabilste, leichteste und preiswerteste.

Mensch ärgere dich nicht oder – Die andere Art zu reisen… Paris 2012

Gare de l'est Paris 2012

Gare de l’est Paris 2012

Mein Zug zurück nach Berlin fuhr Donnerstag 11.25 von Paris Est. Die Fahrkarten waren gut verpackt in der Lenkertasche meines Fahrrads, das mich 930 km zuverlässig durch die Normandie beförderte. Ich startete für die letzten 11 km rechtzeitig um 10 Uhr vom Campingplatz im Bois de Bologne. So viel Zeit sollte trotz hereinbrechender Hitze und eine unkalkulierbaren Zahl von Ampeln wohl reichen!
Alles ging gut. Den riesigen Platz Maillot und die Avenue des Termes hatte ich schon hinter mir, war gerade auf den Boulevard des Courcelles eingebogen, – noch 5 km, – da hörte ich ein rhythmisches Knacken vom Hinterrad. Ich stoppte, schaute nach, sah erst mal keine Ursache. Vielleicht die Bremse? Gut, dachte ich, dann bremse ich bis zum Bahnhof nur mit der anderen. Ich schob das Fahrrad auf die Fahrbahn zurück und – plötzlich war der Reifen platt! Nein!!! Nicht das! Jetzt! Hier!
Nervös schaute ich auf die Uhr. 10.38 Uhr. Ich sah mir den Reifen genauer an: Ein dicker rostiger Nagel hatte den eigentlich pannensicheren Mantel an der Seite durchbohrt, sein heausstehendes Ende hatte den Lärm an der Bremse verursacht. Das einzig Gute daran – ich musste das Loch nicht erst suchen und kann darauf verzichten das Rad auszubauen und den Schlauch zu wechseln. Dachte ich. Gepäck abladen. Schlauch rausziehen, Flickzeug rausholen. In Windeseile den Flicken drauf, Mist, jetzt lässt sich die Folie vom Flicken nicht abziehen… Einen anderen Flicken her. Wo ist das zweite Loch? Wenn etwas durchbohrt ist, muss es doch 2 Löcher geben? Einstich – Ausgang.  Ich fand es nicht. Flicken rauf, Schlauch wieder rein. Luft aufgepumpt. Hält nicht. Es MUSS ein zweites Loch da sein! Schlauch wieder raus. DA ist es! Geflickt, Schlauch rein, Gepäck rauf, Luft aufgepumpt, hält .. erst mal …! 11 Uhr und 3 Minuten. Noch mindestens 5 km! Spätestens um 11.20 Uhr muss ich den Bahnhof erreicht haben, beim TGV lässt man ab 2 Minuten vor Abfahrt keine Reisenden mehr zusteigen. Ich fuhr wie ein Begaster, schwitzte wie eine Sau und scheiterte doch immer wieder an den Ampeln (alle gefühlte 100 Meter eine), an der Luft im Reifen, die doch nicht hielt (immer wieder nachpumpen), an den Einbahnstraßen kurz vor dem Bahnhof (natürlich alle in nur der Gegenrichtung frei).
Da – schon mal der Nordbahnhof! Um die Ecke ist der Ostbahnhof. Quer über Taxiwartespuren hetzend erreichte ich mit Müh und Not den Bahnsteig. 11.26 Uhr. Kein TGV nach Karlsruhe mehr da! Der ICE 13.10 Uhr kam mit Fahrrad nicht in Frage, der nimmt keine Fahrräder mit. Was nun?

Ich suchte nach dem Fahrkartenschalter. Völlig verschwitzt ließ mich ein scheinbar schwules Pärchen vor, obwohl ich nun alle Zeit der Welt hatte. „Je ne parle bien francaise. Parlez vous anglaise ou allemand?“ fragte ich den Schalterbeamten. Der schüttelte den Kopf und gab mir eine Telefonnummer. DB France. Nach einigen „Wenn Sie … dann drücken sie die Nummer…“ – Anweisungen hatte ich eine deutschsprechende Dame am Hörer. Ich erklärte ihr mein Dilemma. „Wann wollen Sie fahren? Heute noch?? Moment…“ Ich wartete eine scheinbare Ewigkeit. „Sind Sie noch da?“ fragte ich. Sie: „Müssen die Deutschen immer so ungeduldig sein?“ Nach einer weiteren Weile: „Ich habe da eine Möglichkeit um 20.05 heute Abend. Soll ich die reservieren?“ Ich bejahte und sie notierte meine Daten, sagte dann, ich müsse aber zur Rue Lafitte Nr. 20 kommen. Das sei gleich in der Nähe. Aber jetzt hätte sie erst mal Mittagspause. OK, also bis dann. Auf dem Stadtplan suchte ich die Adresse. Quadrat E4. Ich suchte und suchte. Keine Rue Lafitte. Gut, dachte ich, ich bin jetzt zu nervös. Ich repariere jetzt erst mal das Fahrrad. IN RUHE! Dazu fand ich einen wenig gefüllten und überdachten Fahrradständer vor dem Bahnhof, der mir den nötigen Platz und Schatten bot. Ich baute das Hinterrad aus und spürte wie K.O. ich war. Bei jedem Erheben aus der Hocke schwindelte mir, ich musste tief durchatmen und mich anlehnen. Wie ein alter Mann…! Mein rechter Daumen verkrampfte sich so, dass ich ihn mit der anderen Hand öffnen und den Arm dabei verdrehen musste. Dann waren es plötzlich die Finger der linken Hand. Nein! Was ist denn das? So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich beruhigte mich und es wiederholte sich zum Glück nicht mehr. Schlauch raus. Neuen Schlauch rein. Und so weiter. Jetzt war das erst mal wieder gut. Also – wo ist die Rue Lafitte? Noch mal den Stadtplan genommen. Nicht zu finden. Ich rief wieder an, ewige Warteschleife, dann legte ich auf. Wer sitzt jetzt in Deutschland am PC? Ich rief Claudia an. Erwischte sie beim Mittagessen. Sie würde im Internet noch mal nach der Adresse schauen und mich dann zurückrufen. Inzwischen suchte ich die Toilette und wusch mir die Hände, soff die halbe Wasserleitung leer. Claudia rief zurück, konnte keine Adresse finden, nur die mir schon bekannte Telefonnummer. Ich dachte dann, ich versuche es mal mit der Rue Lafayette, die ist um die Ecke, vielleicht habe ich mich verhört. Also zur Rue La Fayette. An der Nummer 139 traf ich auf die Straße, es ging abwärts. Ich fuhr und schaute, bis ich, weil sie zur Einbahnstraße wurde, wieder schieben musste und – wie ich so vor mich hinschob kam ich zur Ecke Rue Lafitte! Ich konnte mir ein ungläubiges Grinsen nicht verkneifen – ich befand mich im Planquadrat G 4, die Angabe von Falk war schlicht falsch. Hin zur Nummer 20. Fahrrad auf dem Hof geparkt. Der Fahrstuhl funktionierte nicht. Also Laufen, bis in den 5.Stock. Mir war jetzt alles egal. Eine freundliche Dame empfing mich und beschied, ich möge mich setzen und warten. Die Kollegin kam, sie hätte da einen CityNightline-Platz, auch für das Fahrrad. Aber nur bis Stuttgart. Ich bat sie, auch die weitere Verbindung nach Berlin zu prüfen. Da wären noch Intercitys. Aber keiner hatte noch freie Fahrradplätze. Also – Regionalexpresse bis Berlin, Stuttgart ab 04.52 Uhr! Berlin an 15.59! 16 Stunden nach der geplanten Ankunft. Ich stöhnte und willigte ein, und war nach einer Stunde um ca. 200 € ärmer (abgesehen von den 85 € für die verfallene Fahrkarte).
Das war meine teuerste Reifenpanne bisher!

Aus dem DB-France-Büro wieder hinaus auf die Straße gelangt erschlug mich fast die Hitze. Essen gehen. Rechts oder Links? Rechts ist es sympathischer. Für 20 € eine Plate de Jour und zweimal eisgekühlten Apfelsaft, immer auf mein bepacktes Fahrrad schielend. Ein Clochard, der einem Eingang gegenüber hauste, hielt mich wohl für einen Luxuskollegen und starrte mich immer mal wieder an. Ich las die Süddeutsche von gestern. Ließ mir Zeit. Inzwischen war es nach 14 Uhr. Ich fuhr hinunter zur Seine, bahnte mir meinen Weg durch Touristenmassen, in der mit der vagen Vorstellung die Beine im Wasser baumeln zu lassen, aber die Wasseroberfläche war für meine Füße unerreichbar, zu tief von der Ufermauer aus.
Weiter zum Jardin de Luxembourg, da kann man sich auf unbequeme eiserne Sitzmöbel oder auf den Rasen fläzen. Ich tat erst das Eine, dann das Andere, machte ein paar heimliche Schnappschüsse sozusagen aus dem Knie heraus, von denen ich die meisten wieder löschte. Um 19 Uhr wollte ich spätestens auf dem Bahnhof sein – der Weg war einfach, immer geradeaus nach Norden, dann trifft man, nachdem die Gegend immer afrikanischer wurde, auf den Ostbahnhof. Ich traf einen Hamburger, der dort ebenfalls mit seinem Fahrrad wartete. Es könnte Sinn machen, die Zugbegleiterin zu fragen, ob sie eine Lösung hat, wie ich schneller nach Berlin komme, denn ein Teil des Zuges fuhr ja dort hin. Nur hatte ich eben Plätze im Münchener Zugteil – bis Stuttgart. Sie versprach, sich zu kümmern, ich müsse dann kurz nach 2 Uhr in Mannheim umsteigen. Es war mir schier unbegreiflich, welch seltsamen Wege dieser Zug nimmt: Es gibt einen Zugteil nach Hamburg, einen nach Berlin und einen nach München. Dieser wird in Mannheim von den anderen getrennt, während ein weiterer Zugteil aus Basel wiederum mit den ersten beiden verbunden wird. Oder so ähnlich. Das 6er-Abteil war voll, heiß und stickig, das Fenster ging mit Gewalt ein Stück auf, die Elektroanlage des Wagens war defekt, – also keine Klimaanlage und – kein Licht.
Ich versuchte zu schlafen, während mir der Fahrwind ins Gesicht blies, mein Köper sich zwischen meinen Gepäckteilen auf der Pritsche windete – umsonst. Die Schafferin, die ich vor Mannheim ersehnt hatte -„ich wecke Sie dann“, kam erst kurz vor Stuttgart. 04.17 Ankunft dort. Endlich Stuttgart21 sehen …! Ich schlenderte durch die leeren Hallen, schaute mir alles auch von außen an. Viel mit MP’s bewaffnete Polizei. Ein Seitenflügel fehlte bereits komplett. Was die Stuttgarter an dieser Weltkrieg 1-Architektur so bewahrenswert finden, konnte sich mir nicht recht erschließen. Milliardenausgaben allerdings auch nicht. 04.52 Uhr Gleis 5 statt Gleis 9, wie ursprünglich ausgeschildert. Der RE nach Würzburg trudelte ein, mit zugerosteter Gepäckwagenklapptür, ein Modell aus den frühen 70ern, die könne sie nicht öffnen, meinte die junge Zugbegleiterin. Aber am anderen Ende gabs noch ein Abteil. Ich lud alles ein und quetschte mich in die Sitze, mal irgendwie liegend, mal irgendwie sitzend. Zweieinhalb Stunden bis Würzburg. Zweieinhalb Stunden dahin dämmernd, lesen ging nicht, da tanzten die Buchstaben vor meinen Augen. schlafen ging aber auch nicht. Musik hören ging. Noch 3 Züge bis Berlin. Drei Regionalexpresszüge, in denen ich durch Deutschland dahin dämmerte, dank der Tatsache, dass die DB sich bis heute nicht entschließen konnte, ICE’s für den Fahrradtransport freizugeben. Und natürlich kam es, wie es kommen musste. Erfurt lag hinter mir, der RE nach Magdeburg, wo ich dann wiederum nach Berlin umsteigen sollte, hielt in Staßfurt. Ich hatte die Kopfhörer auf den Ohren und bekam nur mit, dass ich plötzlich der einzige Fahrgast war. Ich erfuhr, dass Kabeldiebe mal wieder die Signalleitungen lahm gelegt hatten und dass Schienenersatzverkehr eingerichtet worden sei oder würde. (Erinnerte mich daran, dass ich in Erfurt extra nachgefragt hatte, ob das wirklich die beste Verbindung wäre, und da die Diebe nachts am Werke waren, hätte man das um 14 Uhr inzwischen wohl davon wissen können???). Wie auch immer: In praller Hitze warteten gefühlte 100 Menschen auf einen (?) oder mehrere (?) Ersatz-Busse, – mir schwante nichts Gutes und wie ich da in einen Bus mit meinem ganzen Kram reinkommen sollte, entzog sich meiner Phantasie. Ich musste mir was anderes einfallen lassen. Ein Taxi stand gegenüber, ich fragte, wie weit es nach Magdeburg wäre, 35 km sagte der Fahrer. Ich überlegte kurz, ob ich die mit dem Rad fahren will. Nein, dachte ich, jetzt heute hier nicht! „Was kostet das nach Magdeburg?“ „Ungefähr 50 €“, meinte der Fahrer, der inzwischen trotz hitzebedingter Unlust realisierte, dass hier was zu verdienen war. Andere Fahrgäste wurden aufmerksam, er telefonierte nach Kollegen, orderte seine Frau mit einem VW-Bus herbei und ich teilte mir den Fahrpreis mit 4 anderen Menschen, so dass der Preis erträglich blieb. In einem nur schwerlich als bemüht schnell zu bezeichnenden Tempo, permanent mit dem Handy am Ohr, kutschierte er dann zum Magdeburger Hauptbahnhof. Nur – den regulären Anschlusszug nach Berlin verpasste ich und auch andere, aber eine Stunde später konnte ich wenigstens den nächsten erreichen.
Um 17.30 Uhr erreichte ich schließlich, mit 17 Stunden Verspätung und völlig übermüdet meine Wohnung wieder.

Mein Frankreich-Tagebuch 2014

Frankreich 2014  Karlsruhe – Marseille

Kopie von facebook

26.07.2014

Ich sitze jetzt in Strasbourg in einem Altstadt-Café vor einem großen Fischer-Bier. Gestern kam ich ja in Karlsruhe an und nächtigte bei Freunden, die ich fast 20 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Da wurde es dann doch später. Ein Dank noch mal an Anne und Uli. Aber lange schlafen konnte ich doch nicht. So fuhr ich dann um 9 Uhr los. Warm und schwül war es, im Laufe des Tages zog es sich an der Schwarzwaldkante immer mehr zu. (Huch, jetzt haben sie hier Heizstrahler über den Tischen angemacht! Ich komme mir vor, wie ein Huhn im Stall…, das Volk um mich herum gackert fast genauso). Und irgendwann fing es an zu tröpfeln. Also wurde alles schnell regendicht gemacht. Aber so schlimm war es dann doch nicht. An der vermutlich letzten Rheinschleuse wechselte ich dann nach Frankreich hinüber, und – wie es ich ahnte, dort hörte der Regen auf. Wetterscheideneffekt eben. Weiter rheinaufwärts, und zuletzt ging es durch ein wildparkähnliches Gelände. Ist schon seltsam – lauter deutsche Weg- und Ortsbezeichnungen in Frankreich zu lesen, auch sehr merkwürdige. Eine Bushaltestelle hieß „Fuchs am Buckel“ oder so ähnlich. Vorbei am Internationalen Gericht für Menschenrechte, in dessen Umgebung lauter Forderungen und Beschimpfungen des Gerichts am Zaun hängen. Und ein Protestcamp – wogegen? – gibt es auch. Mein Gastgeber von warmshowers.org öffnete sichtlich verlegen… er hatte einfach vergessen. dass ich mich angemeldet hatte. Und obwohler ein Date mit einem Herzklopfen machenden weiblichen Wesen hat, hat er mich dennoch aufgenommen. Sogar eine Rose hat er für sie gekauft.

27.07.

2.Etappe: Strasbourg – Hirtzfelden (bei Mulhouse). Hirtzfelden, weil da meine nächsten Gastgeber von warmshowers.org wohnen und es nur mit 102 km für mich weit genug nach Süden war. Diesmal sitze ich an einem richtigen PC, dafür aber mit französischer Tastaturbelegung, d.h. wenn ich blind tippe, liege ich zu 20 Prozent daneben … besser als das 1-Finger-Tippen mit meiner Bildschirmtastatur vom Tablet….  [ich vergaß nämlich meine eigene externe Bluetooth Tastatur zuhause] Und wenn ich diesen Satz z.B. hier am PC nochmal blind tippe komm dabei heraus: „Ich vergqss ,eine Blue-Tooth Tqstqtur yuhquse“. Herrlich….! Aber immer noch schneller als mit 1-Finger-Suchtippen auf der virtuellen Tastatur. Trotzdem werde ich hier wohl kein Ersatz kaufen.

Wie auch immer, was ist inzwischen passiert?
Strasbourg naturellement. Also, nachdem ich aufstand, bemerkte ich plötzlich, dass ich allein in der Wohnung war. Monsieur Gastgeber verbrachte die Zeit lieber noch bei seiner Freundin. Konsequent, schließlich hatte er mich sowieso „eigentlich“ vergessen. Er entschuldigte sich dann später per SMS. Da war ich aber schon weit weg….
Ich zog nämlich irgendwann die Tür zu und machte mich auf den Weg in die Altstadt. Obwohl ich 1993 schon mal in Strasbourg war, musste ich erneut feststellen, für diese altstädtische Kulturgewalt plus Modern Arts brauchte ich drei Tage extra. Geht aber nicht, habe ich nicht eingeplant. Also beließ ich es beim Münster und einem Kreuz – und – quer Kurztrip durch die Gässchen. Dann folgte eine Rheinauen – Landschaft mit Kanälen und viel wildem Gehölz, hohen Deichen (mal eben in den Rhein springen kann man hier vergessen), elsässischem Lokalcolorit, das sich aber in Orts- und anderen geografischen Bezeichnungen erschöpfte – die Dörfer sehen alle aus wie irgendwo. Die Sonne knallte vom blauen Himmel, kein Café zur Einkehr. Nirgends. Dafür dann Haute Cousine bei meinen Gastgebern am Abend: Aperitif + raffinierte Zucchini – Suppe und Salat (geschälte Tomaten mit Rapunzel und  grünem Allerleisalat), Bohnen Gemüse + Fleisch, Kuchen mit selbstgeernteten Feigen belegt – es ist hier schon wie im Süden und der Garten wirkt sehr italienisch! Ich wurde bewirtet wie ein König. Marie spricht halbwegs deutsch mit elsässisch-badischem Einschlag, Jean-Pierre hingegen nur französisch (was ich eher verstehe als spreche). Gute Nacht aus Hirtzfelden.

29.07.

3. Etappe Hirtzfelden – Mandeure, 90 km.
Marie und Jean-Pierre sollten einen Verdienstorden für Gastgeber bekommen. Alles mit freundlicher Selbstverständlichkeit, wunderbarem Frühstück, sogar einen Ersatz für mein am Vortag verlorenes Badetuch schenkte mir Marie und Jean-Pierre brachte mich noch auf den richtigen Weg.
Jetzt sitze ich in einem bauwagengroßen Bungalow mit Edelkomfort weil sich nach einem letzten Endes sonnigen Vormittag nachmittags ein Wolkentheater aufbaute und mich infam umzingelte! Und mein Weg führte mitten hinein. In Mulhouse war es noch freundlich. Dazu kam ein frischer Gegenwind und dann tröpfelte es immer mehr und mehr, wurde zu einem richtigen Regen. Und das, obwohl ich immer wieder unter Brücken anhielt und dem Wetter jede Chance gab, sich zu bessern! Als ich hier ankam, war des feuchten Felix Gedanke nur noch – jetzt bitte nicht ins enge Zelt zu müssen! Bungalows gab’s für 45 Euro, warm und trocken mit Kamin (!) und die letzten 3 Nächte waren ja für mich kostenlos, da leiste ich mir das eben. Der Wetterbericht verspricht allerdings nichts Gutes für die nächsten drei Tage…

30.07.

4.Etappe,  Mandeur – Besancon. Das Wetter versprach grauenvoll zu werden und wurde zumindest ekelhaft. Dennoch widerstand ich der Versuchung, mit einem Zug die Strecke in den sonnigen Süden abzukürzen. Das kann ich ja in Kanada nächstes Jahr auch nicht. Stattdessen suchte ich mir den ersten potenziellen Gastgeber bei warmshowers heraus und siehe da, es funktionierte. Damien erwartete mich. Also los! Erst mal über eine steile Anhöhe, dann weiter am Doubs entlang, flankiert von hohen Kalksteinfelsen windet sich der Fluss durch Franche Comte, bis er irgendwann in die Saone mündet. Die Wolken klammerten sich in Schwaden an die Felsen und molken mir ihre Regenlast mit heftigen spritzigen Nieselattacken in mein Gesicht. Zwischenzeitlich immer wieder Lücken, die mich hoffen ließen, aber bis Besancon geschah kein wirklicher Durchbruch. Aurelie und Damien erwarteten mich und luden mich ein, mit ihnen zusammen Freunde zu besuchen. Alle sprachen mir zuliebe Englisch! Aurelie ist Historikerin, die anderen drei Klimatechniker. Claire experimentiert und verkostete einen grenzwertig süßen Nuss-Wein sowie andere selbst gebraute Liköre. Es wurde ziemlich spät und ich sank dann bald ins Bett. Sehr unkompliziert diese Menschen, sie überließen mir ihren Wohnungsschlüssel und ich kann hier in Ruhe frühstücken und abwarten, ob ich bei dem unveränderten Wetter weiterfahren will oder lieber erst morgen. Nett!

31.07.

5. Etappe Besancon- Dole
Also ich entschied mich, doch um 15 Uhr weiterzufahren. Der Vormittag war so verregnet, dass ich kaum in die Stadt zur Besichtigung kam. Meine kulturelle Neugierde wurde fast weggeregnet. Aber der Botschafter des Wettergotts versprach ja, dass es am Nachmittag aufhören solle. Ich las noch etas, schlief ein wenig und packte meine Sachen. Trotzig gab es um 14.10 Uhr noch einen letzten Abschiedsschauer. Ich packte mein Zeug aufs Rad, und da passierte es.

„Habe ich alles?“

Ja, dachte ich, also warf ich entschlossen den Schlüssel in den Briefkasten.
Natürlich fehlte doch etwas Wichtiges. Die Packung mit Zelt und Schlafsack stand noch im Schuppen! Typisch ich!!! Ich rief Damien an, vielleicht arbeitet er ja in der Nähe? Leider nicht. Vor 17 Uhr sei nicht mit ihm zu rechnen. Mir blieb nichts Anderes übrig, als den Schlüssel wieder aus dem Kasten zu angeln. Und wie? Ich dachte an McGyver und erfand eine Angel, bestehend aus einem Spanngummi und einer Rolle Klebeband. Den Haken bog ich etwas auf, damit ich die Rolle gut darauf klemmen konnte, vom Band wickelte ich so viel ab, dass ich eine klebrige Schlaufe bilden konnte. Dann versenkte ich die Rolle wie einen Angelhaken im Kasten, und – nach dem 3. Versuch hatte ich den Schlüssel wieder in der Hand. Ich war richtig stolz! Endlich konnte ich mit komplettem Gepäck starten. Es sollten ja nur 60 km werden. Nach 30 km kam sogar sie Sonne wieder heraus. Die Doubs war mächtig angeschwollen vom Regen der letzten Tage. Die Felsen an den Ufern wurden niedriger, Dole nahte gegen 19 Uhr, das Ufer war umsäumt von uralten charaktervollen Platanen. So und heute wird gezeltet!

01.08.2014

6. und 7. Etappe
Die 6. Etappe war relativ bedeutungslos. Aber ich traf abends in Chalon-sur-Saone ein nettes niederländisches Ehepaar, das schon sonst wo in der Welt mit dem Fahrrad war. Da sie die Etappe, die ich hinter mir hatte, vor sich hatten, schenkte ich ihnen meine Landkarte. Heute Morgen besorgte ich mir noch ein Ladegerät, damit ich meine lieben Leser bis zum Schluss mit Bildern versorgen kann. (Ja ich habe eins, aber zu Hause!!) Dann noch zu Intersport und zu Carrefour (= Kaufland²), das ich in einem irren Tempo von nur 10 Minuten wieder verließ, dann hatte ich alles zusammen. Es ist für mich immer ein seltsames Gefühl, Fahrrad samt Gepäck vor der Tür stehen zu haben…. zum
Glück ist noch nie was passiert.
Dann ging es weiter, Richtung Cluny, diese Etappe kenne ich ja schon vom vorigen Jahr.  Eigentlich wollte ich nur bis Taizé fahren, aber die Herren Brüder der Communauté teilten mir schon vorher per Mail mit, dass man mindestens einen Aufenthalt von 3 Tagen erwarten würde. Ich bin aber immerhin abgebogen und den Berg hochgefahren, um wenigstens mal einen atmosphärischen Eindruck zu bekommen. Schon im mittelalterlich wirkenden Dorf davor schauen lauter Jugendliche aus den Fenstern. Fast nahtlos geht dieser Ort in Taizé über und schon fühlt man sich wie in einem Jugendcamp. Ich sah so gut wie nur 16-22-jährige. Die Kirche kann man von innen nur von 13-14 Uhr fotografieren. Zu spät. Es blieb bei einer Außenansicht und ich weiß jetzt, dass ich da nicht hinmuss. Frère Rogers Grab von ergreifender Schlichtheit findet man an der winzigen romanischen Dorfkirche. Überhaupt scheint der ganze Ort inzwischen der Communauté zu gehören.
8 km weiter liegt dann Cluny, dessen größte Kirche des Mittelalters 1798 Opfer der jakobinischen Kulturrevolution wurde. Die Reste kann man noch besichtigen.

02.08.2014

8.Etappe von Cluny bis kurz vor Lyon.
Diese Strecke war ziemlich abenteuerlich. Am Anfang hinter Cluny kommt der kurze steile Anstieg zu einem Tunnel. Die Route verläuft ja weitgehend auf einer still gelegten Bahnstrecke. Und daher gibt es auch diesen 1,8 km langen Tunnel, der im Winter den Fledermäusen gehört und im Sommer den Radfahrern. Von dort aus geht es erst mal bergab. Gleichzeitig begann es sich mal wieder zuzuziehen und zu tröpfeln. Die folgenden Orte sind mehr zum nur Durchfahren. Brombeerhecken locken immer wieder zum Stopp. Irgendwann konnte ich auf das Regencape verzichten und folgte meiner Route auf einem Pfad, der direkt an der Saone entlangführte. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und sprang in den Fluss. Als ich wieder rauskam und mich anzog vermisste ich meine Brille. Ach du liebe Güte, wo ist die denn jetzt? Ich suchte alles ab und fand sie nicht. Wo kann die Brille sein? Wer mich kennt, weiß, dass meine die Brille immer an einem Band um den Hals hängt. Sie musste sich beim Abnehmen das Regencapes irgendwie verheddert haben. Nur wo war das? Missmutig fuhr ich zurück bis zum letzten Brombeerbusch. Das waren schon einmal fünf Kilometer. Keine Spur von meiner Brille. Leider konnte ich beim besten Willen nicht sagen, ob ich das Regencape dort abgenommen hatte oder woanders. Was nun? Ohne Brille könntet ihr mich nicht lesen und ich könnte die Informationen auf meinem Navigator nicht mehr erkennen. Ich selbst könnte auch abends im Zelt gar nichts mehr lesen und würde mich bei Regen zu Tode langweilen! Jetzt schnell herausfinden, wo ich hier in der Gegend einen Optiker finde. Gesagt – getan und nach 2 km gefunden. Die Optikerin konnte noch schlechter Englisch als ich Französisch. Aber irgendwie verständigen wir uns und nach 10 Minuten hatte ich eine andere Brille. Eine Ersatzbrille natürlich nur. Jetzt noch ein paar Lebensmittel einkaufen und dann nutze ich die Chance, die weitere Strecke neu zu planen. Ich hatte nämlich keine Lust mehr auf den beschissenen Uferweg, bei dem ich nicht wusste in welchem Tempo ich irgendwie durchkommen würde. Also eine andere Strecke, diese jedoch entpuppte sich als stark befahren. Ich hatte jetzt aber keine Lust mehr auf eine neue Planung. Ich liebe zwar einsame Straßen, aber ich nahm das jetzt als Lehrstück hin. Immer geradeaus die D 903 entlang, die, je näher ich Lyon kam, einen fast lebensgefährlichen Verkehr aufwies. Zudem zog es sich zu. Eine Gewitterfront näherte sich, und ich flüchtete in den Schutz eines dichten Gebüschs. Nach einer halben Stunde konnte ich dann halbwegs trocken weiterfahren. Mit der Zeit wurden die Steigungen wieder steiler. Dafür regnete es nicht mehr und ich war letzten Endes froh diesen teuren, aber beschissenen Campingplatz mit seinen nassen glitschigen Zeltstellen erreicht zu haben, auf dem ich mich gerade befinde.

03.08.2014

9. Etappe Lyon – St Rambert

Wieder eine kontrastreiche Etappe. Vom Camping aus nach Lyon hinab ging es scharf bergab. So scharf, dass ich fast in einen Autobahn- Tunnel geraten wäre, aber da am Sonntag wenig Verkehr ist, konnte ich das Schlimmste verhindern. Lyon imponiert mit protziger Gründerzeitarchitektur. Ich „zirkulierte“ durch die auf einer Halbinsel zwischen Rhone und Saone liegende Innenstadt, um Sehenswertes fotografisch einzufangen. Das Wetter war schön und ich trank noch einen Kaffee, dann verließ ich die Stadt wieder gen Süden. Ich fuhr durch verfallende Vorstädte und dann immer weiter geradeaus gefühlte 15 Kilometer lang eingezwängt zwischen Autobahn auf der rechten Seite und Bahnanlagen sowie Industrie auf der linken Seite. Die Autos fuhren hauptsächlich wie ich nach Süden und standen auf der Autobahn im Stau, so dass es mir eine Genugtuung war, mit dem Fahrrad schneller zu sein. Irgendwann querte die Autobahn die Straße, und endlich war die Rhone zu sehen. Und die Via Rhona, der Rhone Tal – Radweg, war endlich ausgeschildert. Diesem Weg folgte ich. In der Ferne tauchten hohe Berge auf, die ich zunächst für die Alpen hielt, aber es waren niedrigere Gipfel eines anderen Gebirges, dessen Namen mir jetzt nicht einfällt. An diese Gipfel klammerte sich alsbald eine Gewitterwolke. Ortsfest hing sie über der Rhone und weitete sich mal in die eine  und mal in die andere Richtung aus. Als es zu tröpfeln begann, wartete ich lieber respektvoll unter einer Brücke, bis es erst einmal wieder aufhörte. Die Pause war jedoch nicht von langer Dauer, denn ich fuhr ja eigentlich dem Gewitter entgegen. Es war wie verhext, denn die Gewitterfront war so klein, dass man fast überall ihr Ende sehen konnte. Trotzdem konnte ich ihr nicht entrinnen, ich musste durch sie hindurch. Zum Glück kam ein Unterstand. Das ist etwas sehr Seltenes in Frankreich. Wahrscheinlich gab es diesen nur, weil hier der Gewittergott zu wohnen scheint, der Reisenden immer wieder Respekt abnötigt. Wie ein alter Herr wälzte er sich von rechts nach links und kaum hatte ich den schützenden Campinglatz erreicht und mein Zelt aufgestellt, vereitelte er mein Abendessen im Freien mit kräftigem Wolkenbruch. Dies, meine Freunde, ist der erste Bericht den ich mir im Zelt hockend mündlich in das Tablet diktiert habe.

04.08.2014

10. Etappe St Rambert bis Montelimar

Was habe ich dem Wettergott nur angetan, dass er mich mit seinen Schauern verfolgt? Morgens lag schon einmal dichter Nebel über dem Campingplatz und sorgte so dafür, dass fast alles nass oder zumindest feucht war. Als ich dann um 10 Uhr aufbrach, sah es zunächst nach einem sonnigen Tag aus, schließlich bin ich ja fast am Mittelmeer! Aber noch vor Valence griff der Arm des Regenmonsters wieder hinterrücks nach mir. Dann verfuhr ich mich beim Versuch die Stadt zu durchqueren und landete wieder an derselben Stelle. Jetzt regnete es so heftig, dass ich das Navi weder lesen noch richtig bedienen konnte.  Ich war feucht und flüchtete mich in den Eingangsbereich der Post. Da stand ich nun vor Kälte zitternd und musste mich erst mal vor aller Augen umziehen. Ich beschloss dennoch, spätestens 17 Uhr weiterzufahren. Und pünktlich genau dann hörte es auch auf…!
Ich fuhr auf das andere Ufer der Rhone und folgte dort der Straße. Von den 97 km heute habe ich bestimmt 35 in schwerstem Verkehr überlebt! Denn die Via Rhona (der Radweg) scheint nicht immer zusammen mit der Straße ins Tal zu passen. Es wurde immer sonniger. Im Osten grüßten fern die Alpen. Ein freundlicher Rückenwind erleichterte das Vorwärtskommen. Um 20 Uhr erreichte ich schließlich mein Ziel.

07.08.2014

Zusammenfassung der letzten Etappen.

Seit Montelimar vor 3 Tagen habe ich nichts mehr geschrieben. Seitdem herrscht eitel Sonnenschein und ein mistralartiger Nordwind schiebt mich von hinten. Auf reichlich vertrackten Wegen gelangte ich bis kurz vor Avignon. Reichlich vertrackt deswegen, weil es schwer ist, eine Route zu finden, wenn die Via Rhona mal wieder nirgends ausgeschildert ist und ich verkehrsreiche Straßen meiden will. Da gerät man dann schnell auf kiesige Dammwege oder seltsame vom Navi als befahrbar empfohlene Schleichwege. Jedenfalls gab es eine Menge hübscher Städtchen, deren Namen ich noch nie hörte. Denzere, Pierrelatte oder Pont-Saint-Esprit. Jedes hätte mehr Zeit verdient als ich sie hatte. 109 km wurden es an diesem Tag. Das war so nicht geplant, aber bisher wurde jede Etappe am Ende länger als von google maps ausgerechnet!
Avignon folgte gestern und dann Arles. Avignon mal eben auf einer Radtour besichtigen zu wollen ist, als wolle man mal eben mit dem Fahrrad im Vatikan vorbeischauen. Too much! Mein inneres Schisma zwischen dem Kulturfreund, dem Fotografen und dem Radfahrer trat mal wieder zutage. Ist aber vorgemerkt, ich muss unbedingt mak eine Bildungsreise machen zu beiden Orten. Ich fuhr noch bis zu einem Campingplatz in der Camargue, der dann aber erstmal nicht da war, wo er laut Karte sein sollte. Also nochmal 6 km zurück. Und dann war er ausgebucht. Ich quengelte gegenüber dem Besitzer ein bisschen herum und dann war da doch noch ein kleines Stückchen Wiese frei….

08.08.2014

11. Etappe – Durch die Camargue bis Port du Bouc

Eine anfangs angenehme Fahrt durch das Naturschutzgebiet mit schilfumrandeten Wegen, einem Ausflug in ein Informationszentrum, dem Versuch, Flamingos zu fotografieren – leider habe ich die neue Kamera falsch eingestellt, so dass die Bilder und auch die von den berühmten Pferden der Camargue etwas mäßig in ihrer Qualität wurden (wie ich hinterher feststellen musste). Mittags aß ich in einem herrlichen Landgasthof, wo ein Patriarch erhöht sitzend Regie führte. Dann landete ich später auf einem schrecklichen Waschbrett – Schotter – Weg und gelangte schließlich zum Camping Municipal nach Port Du Bouc.

10.08.2014

12. Etappe – Port du Bouc – Marseille

Ich war in durch mörderischen Straßenverkehr endlich in Marseille angekommen, nachdem ich mir kurzfristig über warmshowers einen Gastgeber organisiert hatte, zumal es in Marseille keinen Campingplatz nahe genug zur Stadt gibt. Er wohnte praktischerweise im 5.Stock, dort hinauf musste ich Gepäck und Fahrrad ohne Aufzug befördern …
Ich habe dann den Abend zu einem Ausflug zum Hafen genutzt, und weil mir das Colorit dort so gefallen hatte, bin ich heute Vormittag noch einmal dort hin und habe einen langen Marsch bis zum Fort am Hafenausgang und zurück durch das malerische Viertel hinter dem Hafen hinter mich gebracht.

Um 15.09 Uhr fuhr mein pünktlich mein TGV nach Basel mit Anschluss an den CityNightline nach Berlin.

Und jetzt sitze ich wieder zuhause und beschäftige mich mit Bildbearbeitung. Nächstes Jahr werde ich meine bisher längste Radreise starten und Kanada durchqueren!

Da ich damals noch kein wordpress hatte, sind die Bilder hier https://photos.google.com/share/AF1QipNJzMRSJmQCfNivSWCiqpDwSro2nsc4pR9YxePT6Ow0NIi4HlolQThtX9_GYpPFNg?key=VFViZjZWaENtUzJVVjdHSkdLeGF6dmYwNjVjUmR3