KANADA 2017

Kanada ließ mich nicht los, ich musste noch mal hin! Wenn auch nur für 40 Tage. Was konnte ich aber in dem riesigen Land mit 40 Tagen anfangen?

Die Route, erster Teil, Québec
Die Route, zweiter Teil, Neufundland

Ich flog also am 02. Juni 2017 nach Montreal. Meine Gastgeberin von 2015, Jackie Freeman, beherbergte mich wieder. Dort habe ich mich aber nicht lange aufgehalten und bin schon am 04.Juni mit Via Rail nach Québec City gefahren, denn dieses Stück Strecke bin ich 2015 gefahren Es ist knappe 300 km lang, und zwar ganz nett, musste aber auch aus Zeitgründen von mir nicht wiederholt werden. Alles weitere lesen Sie auf den folgenden Seiten dieses Kapitels.

04.06. 2017 Die ersten Tage

Nach einem ruhigen Flug traf ich vorgestern in Montreal überpünktlich mittags ein und bekam nach kurzem Warten mein Gepäck unbeschädigt in die Hände. Nach einer Stunde hatte ich soweit alles wieder geordnet, also das Fahrrad abfahrbereit zusammengesetzt und mit den Fahrradtaschen bestückt. Ich versuchte, meine Gastgeberin Jackie, bei der ich schon 2015 zu Gast war, über Skype und das WiFi im Flughafen zu erreichen, aber es klappte nicht. Also erst mal zu La Source, den Laden der SIM-Karten der verschiedenen Gesellschaften anbietet. Ich hatte mich nach gründlichen Recherchen in Vorab schon für Bell als Provider entschieden, aber der Angestellte fühlte sich außer Stande, mir genau DAS zu verkaufen, was ich brauchte und empfahl mir den anderen Laden im nächsten Einkaufszentrum ein paar Kilometer weiter. (In Kanada kann man sowas leider nicht über das Internet im Vorfeld bestellen und bezahlen, da keine Telefongesellschaft ausländische Kreditkarten akzeptiert, wenn man nicht persönlich vor einem Händler steht und sofort bezahlen kann.) So bleiben nur diverse Prepaid Angebote, mit unterschiedlich umfangreichen und teuren Daten Add-On’s. Ich besaß ein ausgedrucktes Chatprotokoll, in dem mir eine Miss Emily von Bell erklärte, was mir zustünde, nämlich 5 GB Daten für 50 $ (angeblich). Die Jungs im nächsten Bell vertreibenden La Source-Laden staunten mich an wie ein Alien und fingen dann völlig uninformiert an, erst einmal im Internet zu recherchieren. Es kostete mich Einiges an Anstrengung ruhig abzuwarten. Bin halt chronisch ungeduldig, besonders verstärkt durch meine Müdigkeit nach langem Flug. Mein Chatlog mit der Bell-Dane hatte ich vorsorglich ausgedruckt – „hier steht die Lösung, Jungs“ – das schien sie aber nicht zu überzeugen. Nach einer halben Stunde hatte ich endlich die SIM-Karte, aber nur mit einem 2 GB Daten add-on, für einen Monat. (Nun ja, der SMS von Bell zufolge gilt das Ganze bis 2018 …) Das alles für 86 $ (z.Zt. etwa 56 €). Kanada ist eins der teuersten Länder, was Telefonieren betrifft.
Also auf zu Jackie, d.h. 17 km mit dem Rad durch ein Geflecht von Nebenstraßen (die einzige gerade Strecke in die Stadt ist eine Autobahn und für Fahrräder nicht zugelassen).  Ich hatte mir den Weg vorher im Navi einprogrammiert und von daher kaum Orientierungsprobleme, teilweise aber schrecklich schlechte Straßen voller Schlaglöcher, die volle Konzentration erforderten. So schlimm hatte ich es von 2015 nicht in Erinnerung. Endlich, gegen 17 Uhr, war ich am Ziel. Geschafft und k.o. Jackie hatte wieder einen Siebten Sinn und kam wie 2015 genau im richtigen Moment die Treppe herunter. Jetzt alles, einschließlich Rad, in den 2. Stock über eine enge, gewundene Treppe hinauf schleppen. Und nicht gleich Schlafen gehen, davon wird ja abgeraten nach Transatlantikflügen gen Westen, denn dann klappt es mit der Umstellung schneller. Jackie lud mich zum Essen ein, anschließend zeigte ich ihr noch meine Skandinavien-Bilder und um 21 Uhr konnte ich nicht mehr …

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Hier geht es hinauf zu Jackie

Am nächsten Tag musste ich wie immer meine Ausrüstung vervollständigen, denn Gas-Cartouchen für den Kocher darf man ja nicht im Flieger mitnehmen. Und das unverzichtbare Bärenabwehrspray gibt es sowieso erst in Kanada. Also los, zum Ausstatter MEC, 12 km quer durch die Stadt. Mein Navi leitete mich prompt über den Mont Real statt drum herum und oben quer durch eine Kathedrale aus Beton.

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Ich ignorierte die Aufforderung und ging lieber zu Fuß hinein.

Zum Glück ging es anschließend bergab!
Jackie war an diesem Tag mit ihrem Freund in den Bergen und kam erst am nächsten Morgen zurück. So hatte ich Montreal für mich, da ich aber durch den Jetlag doch noch ziemlich müde war, beschränkte sich meine Neugierde auf Downtown.

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Blick von Jackies Balkon

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Downtown Montreal

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Montreal ist eine Multikultimischung aus frankophonen und anglophonen Kanadiern plus Touristen und Studenten. Die Gegend um die Rue St. Catharine erinnerte mich sehr an Manhattan rund um Greenwich Village, aber auch an Straßen in Berlin-Kreuzberg. Unzählige kleine Läden, Cafés und Restaurants. Dann gleich Luxusausstatter, Massagesalons und die üblichen Kettenläden in friedlichem Nebeneinander.

07.06 – 08.06.2017 

Es ist gar nicht so einfach sich abends noch zum Schreiben aufzuraffen, aber da ich heute wegen des noch geschlossenen Campingplatzes in eine Pension ausgewichen bin, gibt es jetzt keine Ausrede mehr. Ich weiß, ich laufe Gefahr als Kulturbanause da zu stehen, aber ich habe Québec City diesmal nur kurz zwecks Übernachtung „gestreift“. Ich wollte endlich losfahren. Und schon beglückte mich der erste Tag mit heftigem Gegenwind, grauer Schauerbewölkung und 15°. Dadurch schaffte ich es nur bis L’islet Sur Mer. Immer am Sankt-Lorenz-Strom entlang ostwärts. Am nächsten Tag schien zwar die Sonne, aber dafür war der Gegenwind noch heftiger. Ich hatte einen Durchschnitt von 12 km/h auf dem Tacho und es fühlte sich an wie dauernd bergauf fahren. Infolge dessen schaffte ich es nicht bis zu meinem ‚warmshowers’s Gastgeber‘ Jean-Pierre (der aber sowieso als Arzt gerade Bereitschaftsdienst in der Klinik hatte). Ich blieb 23 km vor dem Ziel an einem süßen Campinglätzchen sozusagen auf der Strecke. Ich rief Jean-Pierre an und wir verabredeten aber, dass ich dann am nächsten Morgen mit seiner Freundin einen Kaffee trinken kann, wenn ich bei ihnen vorbeifahre, was ich auch tat.

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Anik, Jean-Pierres Freundin

Wir kannten uns ja schon von 2015. Und da beide mit den Kindern und 2 Tandems ins Baltikum fliegen wollen, konnte ich gleich noch Tipps loswerden. Der Wind wehte heute mit der gleichen Stärke, aber zum Ausgleich von hinten! So flog ich mit Leichtigkeit und manchmal mit 26 km/h dahin. Es wurde mit ca. 24° auch deutlich wärmer. Überall blüht der Löwenzahn in Massen, ebenso Flieder und Vergissmeinnicht, alles 4 Wochen später als in Deutschland, vergleichsweise.

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Das Rad im heftigen Wind

Dann bin ich mit diesem Wind im Rücken 112 km gefahren, weil ich den Zeltplatz von St. Fabien (den ich noch kannte) ansteuern wollte. Als ich dann gegen 19 Uhr ankam, war er geschlossen: „Wir sehen uns im Sommer 2017“! Ich stutzte. Ach so, hier ist ja noch Frühling, schreibe ich heute (schon einen Abend später), bei 28°C und unter einem Moskitonetz als Schutz gegen die lästigen beißenden Blackflies. Also der Platz war noch geschlossen. Zwar konnte ich mich nicht bremsen, ein Klo aufzuhebeln und Wasser gab es auch, aber keinen Strom und keine Dusche. No power, no shower. Und ich will ja hier etwas schreiben, dazu muss ich das Notebook immer wieder aufladen … Also, was gibts sonst noch in dem Dorf? Google empfahl eine Hotelchen namens „The dreams and vigils..“, aber das befand sich auch noch im Winterschlaf. Ich sprach eine Dame an, die mir mit ausgezeichnetem Englisch (das ist hier in Québec nicht selbstverständlich) „La Maison l’Irlandaise“ empfahl – Volltreffer. Ein freundlicher junger Mann vermietete mir für 49 $ ein Zimmer mit Frühstück! So günstig hatte ich das bislang noch nie in Kanada. Das sind ca. 35 €. Zum Frühstück gab es dann Obst, Muffins, herzhafte oder süße Pfannkuchen und Kaffee. Da mein Blutzuckerspiegel (ich bin seit 2016 Diabetiker) so niedrig wie noch nie war, sündigte ich munter. Aber wie nun heute weiter? Zur Auswahl stand 126 km nach Matane in einem Ritt durchzufahren, oder das Stück in zwei Teile zu teilen. Das Problem ist, dass die Fähre zum anderen Ufer nur einmal täglich und zwar morgens um 7, um 8 Uhr (Sa) oder um 9 Uhr (So) fährt. Ich muss also vorher in Matane übernachten. Und nicht verschlafen! Ich entschied mich für die Variante Teilung, aber sehr ungleich. Schon nach 10 km bog ich in den Provinzpark Bic ein. (Die Québecer nennen ihn natürlich Nationalpark, was verwirrend ist, weil es kein „echter“ Nationalpark ist, sonder nur ein Nationalpark der „Nation Québec“ und mein Kanada-Jubiläumspass, der mir kostenlosen Eintritt garantieren würde, hier nicht gilt.) Vive la Québec! Wie auch immer, 8,60 $ fürs Zelten plus noch mal dasselbe für den Eintritt, gebongt. Also wurde dieser Tag ein Wandertag. Mit Rad natürlich, denn das Gelände ist gut erschlossen. Es soll hier eine seltene Robbenart geben und diverse Vögel wie die Eiderente. Leider war davon (wie immer, wenn ich komme) nichts zu sehen. Aber ich besuchte zu Fuß bei Ebbe die „Ile d’Amour“, die weiter entfernt liegende „Ile Massacre“ und die „Ile Brûle“ ließ ich lieber aus, wenn weder wollte ich massakriert noch gekocht werden… Ich erkundete einige Buchten und ein Informationszentrum und jetzt gibt es ein paar Bilder:

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Parc du Bic
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Wie heißt die Blume?
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Im Parc du Bic
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Informationszentrum in der alten Scheune
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Meine Villa
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Der einzig wirksame Schutz gegen beißende Blackflies, aber wie esse ich jetzt?

11.06.2017

Ich sitze mal wieder in einer Pension, denn der eingeplante Campingplatz (oder vielleicht war es auch eine Art Ferienlager) war geschlossen. Noch. Vermutlich. Ich bin in Port Cartier gelandet. Und das war nun wirklich der stürmischste Tag, den jemals auf einer Radreise erlebt habe. Auch in den letzten Tagen blies mir der Wind ja schon munter von Westen in den Rücken. Aber heute, nach morgendlichen Schauern, folgte zwar Sonnenschein, unterbrochen aber von weiteren Schauerstaffeln mit starken Böen, die mich fast vom Fahrrad rissen und mich Zuflucht in einem überdachten Hauseingang suchen ließen. Der Weg führte erst nach Osten und dann nach Norden, rechtzeitig drehte der Wind auf Nordwest und prallte vom Wald auf meiner Seite ab, mir direkt entgegen. Die Gegend ist sehr waldreich und oft einsam, dann wieder wird die Straße 138 von Chalets in langen Reihen gesäumt. Der Strand, teils steinig, teils sandig, meist einsam, wird nur sichtbar, wenn es eine Lücke im Wald gibt oder ein Bach ins Meer mündet. Meer, – denn der Sankt-Lorenz-Strom ist schon lange kein Fluss mehr, inzwischen heißt er auch Golf, wobei ich mir geographisch nicht ganz sicher bin, wo genau der Übergang ist. Der Verkehr ist mäßig. Ich zählte aus Spaß mal 10 Minuten lang alle Autos die mir begegneten, es waren 22. Aber oft drei bis sechs hintereinander (das Phänomen der Rudelbildung bei Autofahrern …).
Ich bin jetzt in Québec pur! Englisch versteht man hier kaum noch und ich fühle mich aufgefordert, zu erklären „je ne parlez bien francais, je suis Allemand, so if you please speak English to me …“. Nun ja, es überrascht mich immer wieder, wie wenig hier die andere Landessprache bekannt ist. Andererseits, in British Columbia spricht auch kaum jemand Französisch. Nur betont dort niemand die englischen Wurzeln mit einer eigenen Flagge und einem Nation-Begriff wie in Québec. Kurz, ich habe immer noch nicht wirklich begriffen, wie das mit der kanadischen Nation funktioniert und warum.

Wie geht es mir mit den Herausforderungen der Strecke? Ich werde ja weder jünger noch fitter. Sofern es nicht leicht geht, beiße ich mich mit stoischem Gleichmut durch. Das Wichtigste ist, dass ich mein Tagesziel verinnerlicht habe. Dann schaffe ich es auch, meistens. Widrige Umstände führen aber auch zu Kompromissen. Ich frage mich allerdings, wie ich das in Neufundland mache, wenn der Wind so weiter bläst und mir dort womöglich entgegen kommt. Vermutlich werde ich trampen. Die Leute hier fahren ja diese riesigen Pick-Ups …

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Die Fähre in Matane von meinem Fenster aus.
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Nach der Ankunft in Godbout am Nordufer des Sankt Lorenz
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Es geht erst mal mächtig hoch
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Mondaufgang über dem Sankt-Lorenz-Strom
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Es bleibt erst mal bergig
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Der Wind fegt über das Wasser
Weiter Blick über die Saint Lawrence Bay
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50.Breitengrad. Wie Frankfurt/M. Die Natur ist aber hier schon subpolar.
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Schokomilch trinken im Windschutz eines Ladens
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Ebbe
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Mittagspause

13.06.2017

Seit gestern bin ich Gast bei Edmond Michauld in Sept-Iles. Er ist kein „echter“ warmshower’s Gastgeber, sondern der Freund von einem, der mich gerade nicht beherbergen kann. Über Facebook kamen wir dann näher in Kontakt. Ich bin mal wieder überwältigt von der Gastfreundschaft. Konkret: Ich kann mir nach dem Motto „help yourself“ alles aus dem Kühlschrank nehmen. Gestern bot er mir Elch-Ragout an und ich dachte, er will es später für uns beide zubereiten. Aber nein, er hatte gar keine Zeit und meinte nur, ich könne mir das ja selbst machen, Gewürze fände ich im Schrank. Den Elch hätte er übrigens selbst geschossen. Er hat drei Töchter, die ältere ist 17 und nicht da, die 7-jährige flirtet dauernd mit mir, die jüngste ist 3 Jahre alt verschüchtert … langsam taut sie auf.

Es stürmt nach wie vor und ich finde es nicht schade Pause gemacht und gleich mal die Bremsbeläge erneuert zu haben. Edmonds Hobby ist übrigens vom Schrott gerettete Fahrräder wieder aufzumöbeln, für sozial Schwache. Ansonsten arbeitet er in einem Hilfsprojekt für „men in distress“. Ein Kollege sozusagen.

Und jetzt noch ein bisschen Sturm.

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Bucht von Sept-Iles
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Das muss jemand filmen
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Fischfangausrüstung am Hafen

16.06.2017

Inzwischen bin ich in Havre-Saint-Pierre angekommen, im Haus von Nicolas Carbonneau (warmshowers Gastgeber), der so etwas wie ein Wildhüter (und ehemaliger Polizist) ist.

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Nicolas Carbonneau beim Bau eines Gewächshauses

Was ist nach Sept-Iles passiert? Als ich losfuhr war ich noch voller Bedenken, denn der Wind hatte von West nach Nord gedreht und wurde somit von Rücken- zu Seitenwind, dafür aber schwächer und später ganz nachlassend. Garniert mit immer öfter herab prasselnden Schauern, denen meine Regenkleidung so leidlich gewachsen war. Nach 88 km gab es ein erstes Zeichen von Zivilisation, die Naturpark-Informationshütte an den Manitou-Fällen. Geschlossen. Ein Aushang an der Tür mit vielen Telefonnummern an einem Ort ohne Handynetz und ohne öffentliches Telefon! Rettungsdienste, Verwaltung usw. Ich musste grinsend den Kopf schütteln. Die Abwesenheitheit einer offiziellen Aufsicht ersparte mir aber auch 3 $ Eintritt. Und so bestaunte ich die tosenden Manitou-Fälle kostenfrei.

Theoretisch hätte ich dort wild zelten können, aber an diesem feuchtkalten  Tag war mir mehr nach einer Herberge. Also weiter nach Sheldrake, zur „Gite Chez Jean“, von der ich in einem Blog gelesen hatte. Nach 122 km traf ich dort abends ein. Ich klingelte. Nichts tat sich. Aber Licht brannte. Da muss doch jemand sein? Ich ging ums Haus herum. Ein Lautsprecher an einer Garage verströmte leise Musik. Ich rief. Nichts. Niemand. Ich ging zurück. Ein Auto hielt. Ist er das? Nein, nur ein neugieriger Nachbar, dessen Worten (femme, malade, Québec) ich entnahm, dass da wohl seine Frau krank und er deswegen nach Québec City gefahren sei. Kurz entschlossen stellte ich frierend und mit Böen kämpfend mein Zelt genau gegenüber von der Pension auf einem 15 m breiten Rasenstreifen kurz vor dem Strand auf. Ich hatte Hunger, fror, wollte nur noch in meinen Schlafsack und meine feucht geschwitzten Sachen ausziehen. Ich kochte mir schnell ein Fertiggericht Marke „Knorr Sidekick“ und schlief schnell ein.

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Immer dem Regenbogen nach
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Zelten an der Kante
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Die Bucht von Sheldrake
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Blümchen gibts dort auch. Calypso bulbosa.

18.06.2017

Ich bin immer noch in Havre-Saint-Pierre. Denn bis zum Hafen Natashquan sind es nur noch 151 km, also 2 Tage und das Schiff hat wegen Eisbergdrift (!) bereits fast einen Tag Verspätung, was mich in die Lage bringt, dass ich auf Neufundland meinen für den 25.6. vorgebuchten Campingplatz nicht rechtzeitig erreichen kann und irgendwie umbuchen muss, wenn das noch geht. Aber vielleicht sehe ich endlich meine ersten Eisberge…

Nach Sheldrake folgte ich weiter der Straße 138 gen Osten, sah mir die malerische Kirche von Rivière-au-Tonnere an,

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dann auch die von Magpie („Elster“),

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und beendete den Tag in Longue-Point-de-Mingan, denn dort teilen sich zwei Familien das Geschäft mit dem Whale-Watching und Inselexkursionen. Bucht man das Camping auch gleich noch, gibt es 10% Rabatt für die Tour. Ich nahm angesichts von nur 8°C und heftigem Wind lieber eine Hütte für 50$… und brutzelte mir ein Abendessen mit Kabeljau und Reis. Am nächsten Morgen um 8 Uhr ging es los. Aufgeregt wiesen die Teilnehmer mal nach links und rechts … „da, ein Wal“ … ich versuchte, ihn mit der Kamera zu erwischen, aber leider können die nicht mal einen Moment stillhalten! Und dann schwankt auch noch das Boot…

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Fast hätte ich den Wal noch erwischt …

Wir landeten dann auf der Ile Nue de Mingan, einem flachen Inselchen mit den sogenannten Monolithen. Statuen-ähnlichen Felsformationen aus Kalkgestein, die sich beim Zurückweichen des eiszeitlichen Schmelzwassers durch Erosion aus den Kalkablagerungen des Urmeeres gebildet hatten. Zum Glück hatte ich vorher die ARTE-Dokumentation, die ich auf meinem Notebook mitgenommen hatte, noch einmal gesehen. Denn die Nationalparkführer erklären alles nur auf Französisch und fassten mir zuliebe manches nur stichpunktartig auf Englisch zusammen. Das ist hier aber ein „richtiger“ kanadischer Nationalpark und nicht nur einer der Nation Québec…
Einzelne Fossilienabdrücke konnte ich ohne Paläontologe zu sein selbst im Kalk entdecken!

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Gefunden! Fossilabdruck, 450 Millionen Jahre alt.
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Dyas integrifolia

Dann ging es weiter auf die Leuchtturminsel „Iles aux Perroquet“. Sehr malerisch. Und natürlich ist der Leuchtturm heute elektronisch. Man kann sich dort auch ein Zimmer mieten, wenn man Zeit und Geld genug hat, ohne Internet, ohne Strom.

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Einen Inselkapitän gibt es auch.

Und Brutkolonien von Papageitauchern und Lummen.

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Puffins (Papapeitaucher)
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Puffin (Papapeitaucher)
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Lummen („Petite Pinguin“)

Gestern habe ich noch eine Exkursion von Havre-Saint-Pierre aus gemacht, in der Hoffnung auf mehr Wale, aber – leider Fehlanzeige.

21.06.2017

Gestern Abend kam ich in Natashquan an. Das ist in Fahrradkilometern etwa die Hälfte der 2000 km – Strecke bis Saint John’s. Hier sollte heute um 13.30 Uhr mein Schiff nach Blanc-Sablon ankommen und um 15 Uhr abfahren. Tatsächlich ist die Ankunft jetzt für morgen früh 06.30 Uhr angekündigt. Das weiß ich aber erst seit einer halben Stunde (es ist jetzt 10 Uhr) – vorher war das auf der Webseite der Reederei, auf der en Kurs des Schiffes verfolgen kann, nicht ersichtlich.

Von Havre-Saint-Pierre aus hatte ich eine Etappe lang Gesellschaft. Dave aus Massachusetts, ein 72-jähiger pensionierter Notfallmediziner und Oboist war zweiter Gast im Haus von Nioclas und auf dem Weg nach Labrador. Wir fuhren eine Etappe bis Baie Johan Beetz zusammen. Dort war es dann für ihn so anmutig, dass er entschied eine Woche da zu bleiben und auf das nächste Schiff zu warten, statt mit mir gemeinsam das Gleiche zu nehmen, wie er ursprünglich dachte. Auf dieser Route fährt nur einmal wöchentlich dasselbe Schiff.

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Dave aus Massachusetts
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Kontraste: Walbrandreste und Frühjahrsblüher
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Blick von meinem heutigen Pensions-Fenster aus

Wegen der Verspätung darf ich mich hier in der Pension vorerst aufhalten, muss nur mein Zimmer räumen und mir eine andere Übernachtung suchen. Natashquan ist ein Indianer- oder wie man hier sagt, First-Nations Ort, was ich spätestens beim Einkaufen gestern bemerkte, als ich lauter übergewichtige Indianer-Mammies traf.

Das Wetter ist schön. Und weil auf ein Schiff zu warten keine besonders auf- oder anregende Beschäftigung ist, habe ich Natashquan erkundet. Sehr schön und sehr übersichtlich. 280 Einwohner. Verschiedenfarbige Holzhäuser. Ein „Café Échourie“ mit Kulturprogramm, am Strand gelegen, in dem ich eine Kleinigkeit aß. Ein recht altes Ehepaar, das das einzige Eiscafé tapfer weiter betreibt und das Warten auf das richtige, schon bestellte Eis zu einer echten Geduldsprobe werden lässt, während drei Mütter mit jeweils mindestens fünf Kindern jedem Sprössling seine Spezialanfertigung zukommen lassen … Ein Supermarkt, eine Bank, eine Kirche, eine neue und die alte Schule (jetzt Museum, denn Gilles Vigneault, der angeblich bestbezahlte Sänger der Welt, hatte diese als Kind besucht). Und ein superschöner dünengesäumter Strand. Wenn nur das Wasser wärmer als 4°C wäre.  Und die Luft wärmer als 18°C …

Ja und das Beste: Mein Herbergsbesitzer (der ja schon von der verspäteten Fähre gehört hatte), fragte mich, wo ich denn heute übernachten will, bis morgen früh um 8 Uhr das Schiff endlich ankommt. Ich murmelte was von „à la plage“ (am Strand), daraufhin bot er mir an, doch lieber auf dem Rasen hinter dem Haus zu zelten. Kostenlos.  Mit WLAN, Strom und Wasser. Für die erste Nacht musste ich noch 89 $ zahlen, mit Frühstück.

So, jetzt die Bilder. Die alten Scheunen heißen Les Galets, was seltsamerweise auf Deutsch „Die Kiesel“ heißt und ich nehme an, es sind ehemalige Fischereischuppen.

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Am Café Échourie
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Café Échourie – mein Essen. Die Auswahl war sehr übersichtlich.
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Les Galets
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Les Galets
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Blick nach Natashquan
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Teil der Alten Schule
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Alte Schule, jetzt Museum. Leider geschlossen.
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26.06.2017

Nun also bin ich bin auf Neufundland gelandet. Stürmisches Wikinger-Wetter empfängt mich hier, ich fahre ja auch den Viking-Trail, wie die Straße 430 heißt. Selbst schuld. Also mit Gegenwind und Böen bis 68 km/h kann ich mich auch nach über 40.000 km Radreisen nicht anfreunden.

Der letzte Bericht endete damit, dass ich auf die Fähre nach Blanc-Sablon wartete, welche dann schließlich mit 14 Stunden Verspätung in Natashquan eintraf. Das Fahrrad (und noch zwei weitere von anderen Reisenden) kam in einen Extra-Container, der in jedem Hafen als erstes abgeladen wurde, damit man ggf. sein Rad zur freundlichen Verfügung hat. Das Schiff ist Versorgungschiff für all die kleinen Siedlungen an der Basse-Côte-Nord, also der Unteren Nordküste Quebecs. Dort siedeln die Innu, die wir auch als Innuit oder Eskimos kennen. Und entsprechend rau ist dort auch das Wetter. Irgendwie isländisch windig und kalt. Aber es gibt auch andere Siedlungen, wie Harrington Harbour, komplett englischsprachig (!) und ohne Straßen und Autos, stattdessen Quads und hölzerne Stege. Oder La Tabatière, ganz französischsprachig. Überall hielt die Fähre zwischen 2 und 4 Stunden, bis dort alles ab- und aufgeladen war. Zeit für einen Landgang. Vorher bekommt man gesagt, wann man zurück sein muss. Am Ende, in Blanc-Sablon, summierte sich die Verspätung auf 23 Stunden, zum Glück, denn mit weniger wären wir mitten in der Nacht angekommen. So aber hatte ich gleich Anschluss an die Neufundlandfähre. Der Verladechef sagte, sie sei „born in Germany“, und tatsächlich, deutsche, schwedische und dänische, sogar finnische Hinweise über den Durchgängen entlarvten das Schiff als ehemalige Ostseefähre …

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Endlich – die lang ersehnte Bella Degagnés läuft Natashquan an
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Harrington Harbour – die Anglikanische Kirche
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Harrington Harbour
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Harrington Harbour
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Holz gibt es dort nicht, muss alles importiert werden.
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Harrington Harbour
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Harrington Harbour
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Harrington Harbour
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Harrington Harbour
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Hafenszene mit Quads
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Der Fahrrad-Container
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Die Bella Desgagnés
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La Tabatiere
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Mein erster Eisberg live
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Die MS Apollo im Vordergrund, meine „Ostseefähre“ nach Neufundland

Mir schwante dem Wetterbericht zufolge nichts Gutes, als ich in Saint Barbe, Neufundland, ankam. Aber es tröpfelte erst nur ein wenig und der Wind war auch noch hinnehmbar. Ich hatte Hawkes Bay als ersten Zielpunkt gesetzt, etwa die Hälfte der 181 km langen Strecke bis zum Nationalpark Gros Morne, bei dem ich für den 25.06. einen Platz vorgebucht hatte. Aber – wie angekündigt verschlechterte sich das Wetter planmäßig nach etwa einer Stunde. D.h.  Regen und der Gegenwind nahmen deutlich zu. Es fuhr sich wie in einem Windkanal, in dem man mit einem Feuerwehrschlauch vollgespritzt wird, ich fühlte mich nur noch nass und hatte steife Finger. Es dauerte genau 37 km bis mein Kampfesgeist angesichts von „Tuckers Cottages“ zusammenbrach und ich nur noch ins Trockene wollte. 115 $ kostete der Spaß einer eigenen Hütte mit Küche und Bad! Etwa 75 €.  Den Platz im Gros Morne National Park, den ich vorgebucht hatte, weil ich hörte, dass anlässlich des 150. Jahrestags Kanadas alles überfüllt wäre, musste ich jetzt telefonisch umbuchen. Und da ich außerhalb der Storno-Frist war, ihn bezahlen plus einer Zusatzgebühr dafür, dass ich einen Tag später den gleichen Platz haben wollte. Kam mir alles so umständlich vor wie bei der Zentralen Zeltlatzverwaltung der DDR …. Und wenn der dann so leer ist wie der Platz, auf dem ich mich im Moment befinde, hätte ich mir das ganze Vorherbuchen auch sparen können.

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Noch tröpfelt es nur
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Blick aus dem Fenster – Schauerschwaden am nächsten Morgen und 8°C
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Besser so als eine Mittelohrentzündung durch den eisigen Wind

Ich bin gerade in River of Ponds. Heute früh noch erschreckten mich beim Blick aus dem Fenster waagerecht dahin peitschende Schauerschwaden. Die ließen dann nach und es hörte rechtzeitig zum Start auf. Aber der stürmische Wind blieb und bremste mich auf 11,6 km/h im Durchschnitt herunter. Mindestens wollte ich es bis zu dem für gestern geplanten Ziel schaffen.  Nach über zwei Stunden und erst 25 km versuchte ich es mal mit Trampen. Als erstes hielt ein PKW. Zu klein. Dann klopfte ich an ein parkendes Wohnmobil. Eine ältere Dame öffnete und bedauerte, dass sie sich wegen des Sturmes auch nicht weitertrauten und hier abwarten wollten. Wie beruhigend. Da nur 5-10 Autos innerhalb von 10 Minuten kamen, fuhr ich erst mal weiter. Dann, ein kleiner Truck (also so ein Pick-Up mit 4 Sitzen und hinten Ladefläche) hielt schließlich, wortkarg hievte man mein Zeug hoch auf die Ladefläche, als wären sie so etwas gewohnt, wortkarg blieben sie in der Fahrerkabine. Zum Glück. Denn sprachlich kam ich mir vor wie in Bayer in Ostfriesland … (Vielleicht sind die Neufundländer ja wirklich die Ostfriesen Kanadas, wie Wikipedia meint?). Nach 28 km war der „Spaß“ zu Ende, denn sie wollten abbiegen. Kurz und gut, das Wetter wurde jetzt freundlicher und sonniger, aber ohne dass der Wind nachließ, und nach einer Pizza in Hawkes Bay entschied ich strategisch, noch 16 km weiter zu fahren und landete genau hier in River of Ponds auf dem Campingplatz. Und … zu allem Unglück brach ein Gestängebogen des Zelts durch die Böen beim Aufbau …. Doppelt! Und ich hatte nur EINE Reparaturhülse (dachte ich zumindest). Also, kurz und gut, der Eigentümer hier fand noch so etwas wie eine zweite Hülse und nach einigem Werkzeugsuchen und alles zusammen quetschen ist nun alles wieder gut … erst einmal.

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Reparaturergebnis.  Hat gehalten. Bis zum Schluss

Nachtrag: Auch am nächsten Tag lies der Wind nicht nach, im Gegenteil. Als dann auch noch Bewölkung aufzog, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal einen Pickup anzuhalten. Das klappte diesmal auf Anhieb. Der Fahrer fuhr mich sogar direkt bis zum Campingplatz.

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Als er dann weg war,  bemerkte ich, dass mein teures Kabelschloss zwischen dem Kram auf seiner Ladefläche liegen geblieben war… Das wars dann damit. Wird wohl ein Neues fällig. Das Ersatzschloss, dass ich hier später kaufte, ist nicht wirklich berlintauglich.

03.07.2017

Ich bin jetzt schon hinter Deer Lake. Das ist das Städtchen am südlichen Rad des Gros Morne Nationalparks. Heute ist Pausentag und da das WLAN auf dem Campingplatz nur in einem 30 Meter – Umkreis vom Empfang existiert und es dort nichts zum Sitzen gibt (alles gerade Baustelle), versuchte ich es von Tim Hortons Kaffeehauskettenladen aus. Aber dann wurden die Wolken immer dichter und ich musste zurück zum Campingplatz eilen, um nach meinen Sachen zu sehen. (Habe ich das Zelt richtig zugemacht? Natürlich hatte ich…)  Da war ich dann von 17 Uhr an im strömenden Regen in meinem Zelt gefangen… Am Abend zuvor traf ich dort Hélène, Daniel und France aus der  Biking Across Canada-Gruppe auf facebook. Interessant, wenn sich Virtuelles zu Realem wandelt.

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Zwei von ihnen  werde ich möglicherweise wieder treffen, da wir die gleiche Strecke fahren.

Jetzt erst einmal Bilder von der stürmischen Viking-Route und vom Gros Morne Nationalpark letzte Woche, die ich aus technischen  Gründen  bisher nicht hochladen konnte. Kein Netz oder nur 2G.

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Immer wieder gibt es kleine Fischersiedlungen an der Westküste.
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Am Greenpoint
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Am Greenpoint
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Blick vom Lookout bei Woodypoint im Gros Morne National Park
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Bei Woodypoint
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Die Table Mountains im Gros Morne

Inzwischen war ich auf dem sich durch das Land schlängelnden Trans Canada Highway, kurz TCH, unterwegs und suchte nach einer Quartiermöglichkeit. Der Campinglatz, den ich ansteuerte, existierte nicht mehr. Wagemutig durchstriff ich dennoch dessen Terrain, von einer angeblichen Überwachungs-kamera bedroht. Nein, es waren nur Bremsen, die sich dort auf mich stürzten, aus Mangel an warmblütigen Campinggästen.  Aber kurz davor war doch eine kleine Siedlung an einem See, dem Birchy Lake. Ich dachte dann, ich frage da mal, ob ich da vielleicht in jemandes Garten mein Zelt aufschlagen könnte. Gesagt getan. Ich klingelte an einem Haus. Alte Dame Nummer 1 schaute mich zweifelnd an und stimmte dann zu, „da oben auf der anderen Straßenseite vor dem graugrünen Häuschen“, das gehöre ihr … aber die Zustimmung klang mehr wie ein „Wenns denn sein muss“. Ich baute mein Zelt auf und wenig später tauchte alte Dame Nummer 2 auf. Was ich denn auf ihrem Grundstück zu suchen hätte. Ich beruhigte sie und erklärte ihr, dass die Dame von Gegenüber gemeint hätte … kurz und gut, nachdem ich versichert hatte, dass ich keine Spuren hinterlasse und am nächsten Morgen verschwunden sein werde, durfte ich bleiben. Und dann, früh um 8 Uhr tauchte ein weiterer Nachbar auf. Ob ich nicht Lust auf eine warme Dusche und ein Frühstück hätte? Ich war überrascht und sagte natürlich nicht nein:

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Das sind Wayne und Betty Hann vor ihrem Sommerhaus. Leider brannte es 2018 ab…

Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass Dame Nunmer 1 und Nummer 2 Schwestern, aber verfeindet sind und schon seit Jahren nicht mehr miteinander redeten. Das Grundstück gehört aber Nummer 2. Sie hat mich listigerweise also ihrer bösen Schwester zugeschoben. Und jetzt, einen Tag später und so früh, dass mir niemand das WLAN streitig machen und ich endlich Bilder hochladen konnte, hab ich Hunger und frühstücke erst mal. Noch 500 km bis Saint John’s.

08.07.2017

Es ist gar nicht so einfach Neufundlands Form zu beschreiben: Eigentlich sieht es von oben aus, als wenn jemand versucht hat, Tapete von einer Wand zu reißen und da ist dann doch noch ein Rest hängen geblieben. Ein Fetzen so groß wie die ehemalige DDR. 108.000 km im Quadrat. Angefangen habe ich auf dem linken oberen Fetzenteil, der nördlichen Halbinsel und im Moment befinde ich mich in Bellevue, auf dem schmalen Steg zur Halbinsel Avalon rechts unten, auf der das Hauptstädtchen Saint John’s liegt. Da will ich ja hin und dann wieder nach Hause fliegen. Es sind noch 114 km und ich versuche ein erstes Resumé.

Ich bin ja seit Deer Lake sozusagen auf der Autobahn unterwegs. Allerdings wird die erst am Ende vierspurig. Der TCH (Trans Canadian Highway) durchquert in Schlangenlinien den Hauptfetzen. Kein Chance zu glauben, „ah der Wind kommt von Südwesten und ich will ja nach Osten, also alles prima!“, denn genau dann treibt dich die Straße gnadenlos nach Süden! Und so erging es mir dieses Mal. Wind ist dann nicht einfach ein schwaches Lüftchen, sondern er bläst mir mit mindestens 25 km/h entgegen und bauscht sich immer wieder zu Böen mit bis zu 60 km/h auf! Da hungere ich jeder Kurve entgegen, die ein wenig weg aus dem Gegenwind führt. Und dann immer wieder Steigungen! Fjordartig drängt sich der Atlantik immer wieder dem Highway entgegen, da geht es dann nur noch entweder hoch oder runter. Wie in Norwegen. Oh, ein See? Denkste, das ist das Meer. Sieht nur wie ein See aus. Und der Highway wird, auch wenn es mal flacher wird, schnell zu einer Schneise, einer Art Windkanal, der begierig den Wind bündelt, denn es ist nicht einfach nur eine Straße durch endlose Wälder. Es ist wie ein Schlucht, durch die Landschaft gefräst, links und rechts ist die Vegetation auf 20 m Breite kurz gehalten (wie überall in Kanada), dann kommt die Straße, jeweils mit, wie schön, einem 1 m breiten Seitenstreifen für uns Radfahrer, von denen ich so gut wie der Einzige zu sein scheine. Immer wieder von hupenden Autos aufgemuntert. „Hey, ein Radfahrer,wow!! Tüüt, tüüt, tüüt!“  Ja, und dann ständige Wetterkontraste.

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Der Exploits-River nahe Grand Falls Windsor

Da freue ich mich über mehrere Tage Sonnenschein laut Vorhersage und höchstens 20% – also kein – Regen, und endlich mal sommerliche Temperaturen (28°C!!), prompt ändert sich über Nacht alles, und kaum habe ich Grand Falls Windsor verlassen, der erste Ort, zu dem hin ich mal eine halbe Etappe lang richtig geilen Rückenwind hatte, sehe ich schon graue Wolkenbahnen auf mich zukommen. Es erwischt mich gnadenlos. Anfangs noch von hinten, dann, als ich, um dem Highway zu entkommen, nach Norris Arm abgebogen bin, kam eine eiskalte Böe von Norden, passend zu meiner Fahrtrichtung an diesem Tag – Nordosten – und die Temperatur stürzte von 22 Grad am Morgen auf 8 Grad am frühen Nachmittag. Und keine Chance auf einen wärmenden Kaffee in diesem Kaff, nur einfältige Läden mit dummen Verkäufern… Ich bin sauer und zwinge mich weiter nach Notre Dame Junction, da gibt es einen Provincial Park mit Camping. Hoffentlich haben die auch Hütten, denke ich und tippe beim Empfang auf der Preisliste auf „Chalet“. Der uniformierte Provinzparkbeamte scheint das eigene Angebot nicht zu kennen und meint dann, nee, die sind noch nicht eingerichtet, das dürfe er mir nicht verkaufen. Ich stehe missmutig und bis auf die Haut  durchnässt vor ihm, wenigstens gibt er mir einen Zeltplatz gleich neben der Laundry und ich werfe als erstes meinen sämtlichen nassen Sachen in den Münztrockner … (zum Glück hatte es auch aufgehört zu regnen). Und jetzt ausatmen!

Als wäre nichs geschehen ist es am nächsten Tag wieder heiter, wenn auch kühl. Mir egal. Ich schwitze bergauf sowieso und der Wind ist an dem Tag mal gnädig und schwächelt von hinten und der Seite. Ich durchquere Gander. Und versuche per SMS mit Bild meinen Freund Martin Gander zu grüßen. Klappt aber nicht. Der wohnt ja auch in einem deutschen Funkloch.

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Ehemalige DDR-Bürger erinnern sich vielleicht, dass Gander der Zwischenlandeplatz für die Interflug auf dem Weg nach Kuba war, den so mancher zur Flucht nutzte. Interessante Geschichten, wenn man danach googelt, wie die Stasi-Aufpasser versuchten, die Weiterreise-Unwilligen wieder einzufangen, verfolgt von der kanadischen Polizei, die genau das zu verhindern versuchte … Inzwischen ist dieses ehemalige internationale Luftdrehkreuz nur noch ein kleiner Provinzflughafen mit Luftverkehrsmuseum, auf dem, während ich dort entlang fuhr, ganze 3 Maschinen starteten bzw. landeten. Und Gander wurde noch einmal berühmt, als am 11.September 2001 die USA ihren Luftraum sperrten und unzählige Maschinen in Gander strandeten, wo die Bevölkerung sich solidarisch um die Passagiere kümmerte.

Ich beschloss, noch bis Gambo zu fahren. Man fährt und fährt und lange sieht es immer gleich aus. Wald, Wald, Wald, See, Teich, Wald, Hügel, Hügel, Hügel … Als hätte jemand einen langen Tunnel mit immer der gleichen Tapete tapeziert…

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Zur Abwechslung immer mal ein rauschender Bach
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Noch 500 km bis Saint John’s
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Wie liebe ich doch diese Rumble-Strips …
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Ein See! Nein, das Meer.

Aber dann – ein grandioser Ausblick auf die Freshwater-Bay, den Fjord von Gambo.

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Da unten, die Freshwater Bay mit Gambo. 5 km weiter, links hinten der Canpingplatz.

Über die einzelnen Orte gibt es wenig zu sagen, weil sie irgendwie alle gleich aussehen, ohne stadtplanerisch-architektonische Highlights wie man sie aus unseren europäischen Kulturlandschaften kennt. Alles „irgendwie“ hingestellt. Holzhäuser aus dem Baukasten, plastikverkleidet und wärmegedämmt. Man heizt hauptsächlich elektrisch. Strom ist billig, 5 Cent pro kW/h.

Von Gambo aus bin ich versuchsweise mal ein Stück auf dem Trail ( dem T’Rail) gefahren. Das ist die ehemalige Eisenbahnstrecke quer durch Neufundland, die aufgegeben werden musste, als der TCH 1988 fertig war. Der Trail ist wiederum ein Teil des Transcanada Trails, der stolz präsentiert wird als DER Weg für Radfahrer und Wanderer quer durch das Land. Aber bis auf ein paar Teile in Großstadtnähe ist er nichts als reine Symbolpolitik. Geschottert und voller Pfützen. Ich sah meinen ersten Bären dieses Jahr aus 200 m Entfernung auf dieser Reise. Jetzt klingelte und sang ich fortan laut, denn Bären mögen nicht überrascht werden… Ich war dann froh, nach ca. 6 km km die Straße wieder unter mir zu haben:

Als nächstes stand der Nationalpark Terra Nova für mich auf dem Plan bzw. der Landkarte. Ich überlegte, ob ich dort einen Tag Rast mache oder weiter fahre, denn heute, als ich das hier alles schreibe, würde es einen Regentag geben und ich beschloss dann bei einem Vanilleeis in einer Raststätte, lieber so weit wie möglich zu fahren. Gut gesagt, denn ab jetzt gab es erstens wieder Gegenwind, zweitens eine unendlich lange (40 km!) Baustelle, bei der beide Seitenstreifen mal eben 40 cm tief weggfräst waren, so dann ich an der Kante entlang balancieren musste. Das Ganze bei zunehmendem Verkehr und drittens gab es längere und steilere Anstiege. Und so beschloss ich, wieder zu trampen. Postierte mich an die Ausfahrt des Terra Nova Campings „Newman Sound“ und nötigte mit dem Ausdruck hilfloser Freundlichkeit, ein Ehepaar mit Kindern, mich mit ihrem Truck mitzunehmen. „Nur 20 km, wir wollen nach Sandy Beach“. Es waren dann 9 km. Okay, immerhin. Gestern habe ich das noch mal versucht. Bisher hatte es ja immer schnell geklappt, Arm raushalten und schon hielt einer. Und sei es aus Neugierde, denn er hatte gar keinen Platz. Aber diesmal ignoirierten mich alle. Zu viel Verkehr, da schiebt das Einer auf den Anderen oder was auch immer die Gründe sein mochten. An der nächsten Raststätte änderte ich die Taktik und sprach ein Ehepaar direkt an. Das klappte, aber wohl mehr weil Kanadier schlecht Nein sagen können, denn es waren sehr schweigsame 27 km bis zu Jacks Pond, einem Campingplatz. Ich wollte aber nicht einen ganzen Tag ohne WLAN in meinem Zelt bei Regen eingeperrt liegen und Hütten hatten sie nicht. Nun gut, weitere 17 km schaffte ich dann auch allein, und nun bin ich hier in diese Hütte:

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Wie heißen die denn nur?
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Am Abend vor dem Regen

12.07.2017

Wie ging es also weiter?  Nachdem sich der Regentag planmäßig abgeregnet hatte,

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war es am nächsten morgen genauso gegenwinding wie bisher, aber dafür mit mystischem Nebel und ganzen 100 m Sichtweite. Ich machte sicherheitshalber das Licht am Rad an.

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Langsam klart es auf … wie, – hier bin ich eben hoch gefahren?

Auf dem Weg zur ersten Kaffeepause beim Tim Hortens 30 km weiter,

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Das typische Tim Horton’s Angebot

besserte sich das Wetter langsam und die Straße wendete sich mehr nach Osten, später dann ging es auf dem Highway 90 nach  Norden – und damit hatte ich endlich Rückenwind! Aber so gut war die Idee, über Holyrood und Conception Bay statt auf dem TCH zu fahren, nun doch nicht.

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Geschafft, endlich in Hollyw… ähm …. Holyrood

Das erste Mal lernte ich die als die freundlichsten Menschen (Kanadas) beschriebenen Neufundländer von einer unfreundlichen Seite kennen: Ich wurde mehrere Male auf der viel zu engen Straße ohne Seitenstreifen, dafür aber mit Dellen und Schlaglöchern, denen ich ausweichen musste, bissig angehupt. Einmal blieb ich schlagartig stehen und brüllte den Fahrer an „So, what…?!“
Shawn, ein Kanadadurchquerer und Polizeioffizier aus Ontario, den ich später auf dem Campingplatz von Saint John’s traf, meinte dazu, die seien einfach den Umgang mit Radfahrern hier nicht gewöhnt. Und in der Tat, ich sah sonst auch kaum welche.

Weil ich ja bis Tim Hortons relativ gut durchgekommen war, hatte ich auch keine Lust mehr, die letzten 114 km in zwei Teile zu teilen,  nur um nicht zu früh bei meiner warmshowers-Gastgeberin Joy anzukommen, mit der Folge, dass sie mich die erste Nacht noch zum Camping schickte und es dadurch am Ende 120 km wurden. Aber am nächsten Morgen machte es um 7.00 Uhr „pling“ und eine Einladung zum Frühstück trudelte per Messenger ein: „Wenn du das jetzt liest und dich beeilst, kannst du zum Frühstück kommen, ich will dann aber zum Training.“ Ich musste mich also beeilen meine Sachen zu packen und dann hangabwärts nach Dowtown Saint John’s zu trudeln.

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Da wohnt Joy, was für eine Freude!
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Joy

Nach dem Frühstück fing ich erst einmel an, die Stadt zu erkunden. St.John’s hat man in einer strategisch supergünstigen Hafenbucht einfach an die umliegenden Hänge geklebt. So steil sind auch manche Straßen, dass es fast unmöglich gewesen wäre, das Rad samt Gepäck BERGAUF bis zu ihrem Haus zu bekommen (weshalb ich lieber vom hinteren Ende ihrer Straße kam und bergab zu ihrem Haus rollte).

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Der Herr links musste mich unbedingt ausfragen. Dieser Hauseingang befindet sich übrigens im 2.Stockwerk

Die Stadt ist steil und bunt und fast nichts ist älter als von 1892, da brannte nämlich alles ab. 100 Jahre später wäre das Gleiche fast noch mal passiert. Das Leben konzentriert sich in den parallel zum Hafenbecken verlaufenden Innenstadtstraßen.

Am Nachmittag habe ich den Signal-Hill bestiegen (leider vergaß ich einen zweiten Akku für die Kamera mitzunehmen und die Ersatzkamera im Tablet liefert nur mäßige Ergebnisse). Die strategische Lage des Hafens machte ihn durch die Befestigungen der umliegenden Hänge nahezu uneinnehmbar und daher hatte er als östlichster Hafen Nordamerikas auch eine besondere strategische Bedeutung im Zweiten Weltkrieg. Derzeit wurde besonders und mit Fähnchen der 700 Neufundländer gedacht, die genau vor 100 Jahren gleich am ersten Tag ihres Einsatzes bei der Schlacht an der Somme ums Leben kamen. Das war fast die gesamte Armee Neufundlands, das damals noch nicht zu Kanada gehörte.

So, aber jetzt klettern wir mal nach oben:

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Da lang …
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…und weiter …
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…immer höher, in der Mitte hinten das Kulturzentrum …
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…und höher …
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…fast ganz oben …
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Das ist jetzt die Höhe der Verteidigungsbatterie. Es geht noch weiter, aber dann war der Kamerakku alle.

Damit alle sehen können, was ich fotografiert hätte, wenn — hier verlinktes Bild von jemand anderem: Signal Hill

So, und am nächsten Tag sollte ich endlich und mit Erfolg Whale-Watching machen. Denn schließlich führten meine bisherigen Versuche zu fast keinem Erfolg, denn die wenigen Wale im Mingan waren äußerst fotoscheu. Auch diesmal schien erst einmal alles umsonst zu sein.

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Erst mal ging es nach Cape Spear, dem östlichsten Punkt des Kontinents.
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Ich kann jetzt auch behaupten, da gewesen zu sein. Sogar noch ein bisschen östlicher. Wenn auch nicht auf dem Fahrrad, wie die meisten Kanada-Durchquerer.

Ich dachte ja vorher darüber nach, Cape Spear auf dem Rad zu besuchen, was ein Muss für alle kanadischen (oder amerikanischen) Kanada-Crosser ist. Aber wie auch zwei der Crosser (die ich auf dem Campingplatz kennengelernt hatte) riet mir Joy davon ab. 1000 Höhenmeter auf 20 km … Nein, ich jage keine Rekorde, und dieser östlichste Punkt Amerikas hat für mich nicht die gleiche symbolische Bedeutung wie für die Kanadier.

Aber als das Ausflugsboot vor Cape Spear vor sich hindümpelte, kamen sie, die Buckelwale und hielten auch lange genug still … oder vielleicht war das Boot auch ruhiger … oder ich zielsicherer…

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Und tschüss!

Der nächste Tag wurde der Letzte und ich konnte nicht mehr das Kultur – und Ausstellungszentrum besuchen, denn als ich online nach meinem Flug sah, fand ich ihn nicht. Jedenfalls nicht zur geplanten Zeit. Ich geriet in Panik und rief Joy an, die irgendwo Besuch bei Freunden war. Einen komplizierten Fluggastrechte -Streit auf Englisch am Telefon zu führen, traute ich mir nicht zu. Zum Glück war Joy eine erfahrene Vielfliegerin. Es stellte sich heraus, dass Air Canada den Flug mal eben 20 Stunden vorverlegt hatte. Darüber hatten die zwar mein Reisebüro in Berlin informiert, aber nicht mich. Und die wiederum dachten, ich wäre informiert worden. Naja, wie auch immer, ich musste in Windeseile packen. Der Karton, den ich mir im Fahrradladen für 10 $ (!) geholt hatte, erwies sich für das Fahrrad als zu klein und so blieb mir nur meine riesige, leider etwas beschädigte CTC Bike Bag vom Hinflug. Der Zollbeamte am Flughafen war sehr hilfreich beim Verpacken. Mit 4 Stunden Zwischenaufenthalt in London Heathrow landete ich wieder in Berlin, 20 Stunden zu früh und todmüde.