Erlebnis Pazifikküste – mit dem Rad von Seattle nach San Francisco
Vorbemerkung: Da ich den Blog erst Monate später schrieb, sind die Schilderungen einzelner Etappen unterschiedlich lang oder nur zusammengefasst. Denn in der Erinnerung fließt Vieles zusammen. Immer wieder gab es, besonders ab Oregon, sowohl steile Anstiege als auch atemberaubende Aussichten von steilen Küsten auf den Ozean hinab, die alle einzeln zu erwähnen wenig Sinn macht, die uns aber sowohl den oft starken Verkehr auf dem Highway 101 als auch die oft ausfallenden Seitenstreifen tapfer ertragen ließen.
WASHINGTON STATE
Fast pünktlich, am Freitag, den 11. August 2023 um 11.45 Uhr Ortszeit landeten meine Freundin Susanne Held und ich nach ca. 15 Stunden Flug einschließlich Umsteigen in Paris in Seattle -Tacoma, um eine Radreise nach San Francisco zu starten. Für Susanne war es ihre erste Radreise.
Doch zunächst mussten wir die Einreiseformalitäten über uns ergehen lassen, was mit unseren auf die Gepäckwagen aufgebockten Fahrradkartons überraschend schnell ging. Keine investigative Befragung, Einreisestempel gibt es auch nicht mehr, die ESTA-Bestätigung reicht aus und wir wurden elektronisch gespeichert. Zum Beweis unserer Harmlosigkeit trugen wir bereits unsere Fahrradhelme auf dem Kopf. Bis dahin verlief alles unkompliziert und freundlich. Durch ein Labyrinth von Gängen gelangten wir schließlich zum Zoll und dann eine Stelle im Ausgangsflur, die uns breit genug erschien (5-6 m), um unsere Fahrräder wieder zusammenzusetzen. Als erstes Susannes Fahrrad, denn das ging am schnellsten, dann meins, doch ich war noch nicht halb fertig, da störte ein pingeliger Hilfs-Sherriff und meinte, dass das hier gar nicht ginge, zeigte auf die ca. 20 m entfernte Ausgangstür. Ich entgegnete (das Rad stand kopfüber auf dem Boden, das Vorderrad war noch nicht eingebaut, Werkzeug lag verstreut usw.), „Sir, please, I’ll be ready in 5 minutes!“ Er entfernte sich. Susanne ging schon mal, um die Kartons zu entsorgen in Richtung Ausgang voraus, da sie bereits fertig war. Nach kurzer Zeit kam der Hilfssheriff mit Verstärkung eines weiteren Kollegen und beide bestanden darauf, dass ich sofort (!) den Gang verlasse und, um dem Nachdruck zu verleihen, packte er das Rad, bei dem der Lenker noch nicht festgeschraubt war, die Taschen konnte ich noch irgendwie befestigen und schliff mich wortwörtlich den abschüssigen Gang hinunter durch die Ausgangstür. Welcome to USA! Ich war bedient. Susanne wartete, ich war übermüdet und unkonzentriert, meine Pitlock Sicherheitsmutter war im Gang liegen geblieben und es gab keinen Weg zurück. Zum Glück hatte ich Ersatz dabei.
Als wir dann schließlich abfahrbereit waren, mussten wir noch den Weg zur richtigen Straße finden. Ich hatte vorher gegoogelt, dass es erst mal über eine Fußgängerbrücke ginge und dann durch ein Gebäude und mit dem Aufzug auf der anderen Seite wieder runter, aber das fanden wir beide nicht. Zurück zum dicht befahrenen Freeway am Flughafen. Einbahnstraße, aber nach Tacoma, also in die falsche Richtung. Ratlos, wie wir jetzt nach Seattle kommen, fragte ich einen Polizisten. Der verwies auf die entfernte Linksabbiegespur, die dann weiten Bogen hinter einem Gebäude verschwand und dann Richtung Seattle führte. Susanne schaute mich zweifelnd an. Unser deutsches „auf Autobahnen darf man nicht Radfahren“ galt hier offenbar nicht und so hechteten wir in einer Verkehrspause vom Rand aus todesmutig auf die Linksabbiegerspur. Geschafft. Jetzt konnte ich auch die auf dem Navi gespeicherte Route zu unserem Gastgeber nutzen. 28 km lagen noch vor uns, zum Glück hauptsächlich bergab und im Zickzack-Kurs auf einer Radroute die Hauptstraßen vermeidend. Ich versuchte unseren Gastgeber anzurufen, aber meine US Sim-Karte war irgendwie noch nicht aktiviert. An einem Laden mit WiFi versuchte ich es mit WiFi und dann klappte es. Wir wurden von Gabriel und Allegra, einem Architektenpaar, freundlich empfangen. Man zeigte uns ein kleines Nebenzimmer und dann mussten uns erst mal ausruhen, bevor man uns später zu einem veganen Abendessen rief.

12.08.-13.08.23
Seattle beeindruckte uns einerseits durch die große Parkanlage mit Skulpturengalerie im Norden der Stadt, die später in einen ehemaligen Exerzierplatz auf einem Hügel mündete, und architektonisch imposante Gebäude wie das der Public Library und interessante Wolkenkratzer, wie man sie bei amerikanischen Großstädten erwartet. Die Stadt liegt am Puget Sound, einem sehr verästelten Pazifikbuchen-System. Brennpunkt des touristischen Geschehens ist der Pike Market, besonders, wenn gerade ein Kreuzfahrtschiff im Hafen liegt. Auch wir stürzten uns für eine Weile in das Getümmel. Essen mussten wir allerdings auf einem Stapel Paletten sitzend…





















Abends waren wir von einem Facebook-Bekannten, Dennis, der mit seiner Frau per Tandem durch die Staaten und in anderen Ländern (Japan) unterwegs war, in ein indianisches Restaurant zum Essen eingeladen und saßen wie auf einem Schiff mit einem schönen Blick auf das Wasser von unserem Tisch aus.


14.08.2023
Wir wollten aber den Aufenthalt in dieser Metropole nicht in die Länge ziehen, starteten trotz vorher angesagter Sommerhitze am Montag früh zum Fährhafen und nahmen die Fähre nach Bremerton auf der gegenüber liegender Seite des Puget Sounds, wo unsere Tour „eigentlich“ erst startete.


Dort angekommen machten wir recht schnell Bekanntschaft mit äußerst steilen Nebenstraßen, die uns mit unseren voll bepackten Rädern zum Schieben zwangen. Am Safeway Supermarkt von Belfair kamen uns zwei Reiseradler entgegen, die aber unseretwegen nicht anhielten. Die Lebensmittelpreise waren äußerst gewöhnungsbedürftig. Alles war 2-3-mal so teuer wie in Deutschland, fast nichts kostete weniger als 4 US$. Auf dem weiteren Weg nach Shelton, unserer ersten Station bei einer Warmshowers – Gastgeberin, ließen wir es uns nicht nehmen, heimlich von einem Grundstück aus in den Hood Canal zu springen und uns im lauwarmen Wasser abzukühlen. Denn es war deutlich über 30°C heiß. Das Wasser dieser verwinkelten Bucht des Puget Sound hatte immerhin gefühlte 22°C. Kurz darauf eine steile Steigung, die letzte für diesen Tag. Eine einsame Landstraße, ein PKW bedrängte uns hupend: „Weg von der Straße“. Idiot! Schließlich, es wurde schon dunkel, erreichten wir unsere Gastgeberin in Shelton, bei der wir nach dem Abendessen noch eine Weile auf der Veranda plauderten.



15.08.23
Weiter ging es dann am nächsten Morgen nach Elma bei brütenden 38°C mit einem Badezwischenstopp in einem Bach, und weil das Wasser so klar und kühl war, filterten wir uns gleich eine Trinkflasche voll und landeten am Abend auf dem bereits anvisierten RV/Autocamping von Elma, auf dem Radreisende nicht nur ausdrücklich willkommen sind und einen gepflegten Rasen vorfinden, sondern wir bekamen auch noch selbst gebackene Kekse geschenkt – und das alles für nur 10 US$. Auf Überzelte verzichteten wir bei der Hitze und besuchten abends noch ein ein Restaurant.



Kolibris umschwärmten am Morgen Hängepflanzen.
16.08.23
Es wurde später mit dem Aufbruch als mir lieb war und so wurde ich zum Opfer hektischen Packens. Kurz hinter dem Camping rutschte mir in einer Kurve das Rackpack vom Gepäckträger und riss auch gleich noch eine Seitentasche mit. Susanne fluchte, weil ich deswegen eine Vollbremsung einlegte. Ich richtete alles wieder, aber irgendwas stimmte mit der Gangschaltung plötzlich nicht mehr. Ich hatte nur noch 3 statt 9 Kettenschaltungs-Gängen (+ 3 Gänge Nabenschaltung). Stopp! Alles abpacken und unter einem Baum im Schatten das Rad umdrehen. Es wurde wieder heiß! Oh je, die Halterung vom Umwerfer war verbogen. Kaum sichtbar, aber immerhin … Das kann ich nicht richten! Für Präzisionsbiegen habe ich kein Werkzeug. Googeln nach einer Fahrradwerkstatt führt in der näheren Umgebung zu keinem Ergebnis. Also vielleicht tut es auch eine Autowerkstatt? Ein Mechaniker? Ja, da war was, einige Meilen weiter. Aber Fehlanzeige, keiner war da außer einem kläffenden Hund. Die Tochter des Hauses zeigte uns eine verkramte Werkstatt mit lauter unbrauchbarem Zeug. Die nächste Fahrradwerkstatt war nun erst hinter Aberdeen, in Hoquiam. Und vom anvisierten Warmshowers-Host in Cosmopolis vor Aberdeen hatte wir keine Antwort bekommen. Also mit 3 Gängen zum immerhin noch 40 km entfernten Fahrradladen, der aber um 16 Uhr schließen würde. Mit schmerzenden Muskelkrämpfen in meinem Oberschenkel schafften wir es – gerade so. Aber, keine Panik, wir wurden freundlich empfangen und der Mechaniker richtete alles mit einem Spezialwerkzeug für ca. 20 $ ohne Eile. Da der Host sich immer noch nicht gemeldet hatte, machte ich auf Google Maps einen Campingplatz ca. 30 km weiter ausfindig, den wir nun ansteuerten.





Als wir in dem auf Platz (‚Hip Camp‘) ankamen, war das Einzige, was wir vorfanden, Buchten für Fahrzeuge und schon in Betrieb genommene Ständer mit Steckdosen und Wasserhähnen. Gut zum Aufladen unserer Elektronik. Niemand campte, keine Rezeption, nichts. Nur ein angrenzendes bewohntes Nachbarhaus, komplett an AirBnb – Gäste vermietet, zu denen wir gleich Kontakt aufnahmen und zu klären versuchten, ob wir hier zelten dürften, was diese natürlich auch nicht wussten. Tracy und Vicky telefonierten herum, dann war klar, wir dürfen (umsonst) und sie brachten uns nicht nur Obst, sondern ließen uns auch das Bad im Haus mitbenutzen. Der Sonnenuntergang über der nahen South Bay beendete den Tag für uns. Ach, und die Mücken…


17.08.2023
Weiter ging es am nächsten Morgen mit einem Umweg zum Meeresmuseum in Newhaven, wo wir riesige Walskelette bestaunen konnten und unsere erste (und leider letzte) Portion Fish‘n Chips verzehrten. Je weiter wir dann Richtung Raymonds fuhren, desto nebliger wurde es. Wie erbeten riefen wir unterwegs bei unserem Warmshowers Gastgeber an, der nachfragte, ob wir verheiratet wären, was wir verneinten. Wir fanden die Frage etwas seltsam, aber aus den Rückmeldungen anderer Gäste vor uns, wussten wir bereits, dass es sich um einen Stamm der Sekte „Twelve Tribes“ handelte, was mich als ehemaligen Theologen aber mehr neugierig machte als ängstigte. Wir erreichten das Gelände der Sekte am Abend, mussten die Räder eine unheimlich steile Einfahrt hochwuchten und durften dann aber (vermutlich, weil nicht verheiratet) nur auf einem Waldweg in der Nähe des Haupthauses zelten, statt irgendwo in einem Gästezimmer zu schlafen. Über die Sekte fand ich bei Wikipedia nicht besonders ermutigende Informationen. Wegen der Ablehnung gewaltfreien Umgangs mit Kindern war ein Stamm aus Deutschland nach Tschechien emigriert. Wir waren zum Abendessen eingeladen und saßen gemeinsam mit allen im Speisesaal. Die Atmosphäre war entspannt, später machten sich alle auf zu einem Neumond-Ritual – nur leider war es stark bewölkt und es passierte kein Wunder, – der Mond blieb unsichtbar. Susanne nahm morgens an einer Art Andacht mit Musik teil, ich selbst war nicht neugierig genug. Wir bemerkten beide keinerlei Anzeichen für verängstigte, neurotische Kinder. Alles wirkte entspannt und friedlich, wenn auch etwas altertümlich – isoliert.










18.08.2023
Die Strecke am nächsten Tag war uns bis Astoria zu lang, deswegen legten wir einen Zwischenstopp auf einem County Park Campground mit vielen mächtigen Bäumen ein. Waren das schon Redwoods?
Nein, aber ähnlich mächtige Fichten an einem Steilufer. Mit 35 $ war es etwas teurer als später in State Parks. Wir genossen dann abends einen Sonnenuntergangs-Spaziergang zur Bucht hinunter und waren hier immer noch nicht an der offenen Pazifikküste! Jedoch – in Ozeannähe war es schon am Vortag zum Glück deutlich angenehmer und nicht mehr so heiß wie an den vorigen Tagen.





19.08.2023
Die letzte Etappe in Washington State begann mit einer Entscheidung, den ursprünglich geplanten Umweg über Long Beach wegen der ausgebliebenen Rückmeldung einer Warmshowers Gastgeberin ausfallen zu lassen und lieber direkt nach Astoria, der ersten Stadt in Oregon, zu fahren. Die Straße führte weitgehend durch eine wellige, liebliche, aber kaum besiedelte Gegend. Nach einem Zwischenstopp an einer Tankstelle mit Kaffee und Kuchen kamen wir nach ein paar Kilometern an der Mündung des Columbia – Rivers an. Und wenn man nicht einen Riesenumweg machen will, bleibt einem nur übrig, über die berüchtigte 6 km lange Astoria – Megler – Brücke zu fahren. Berüchtigt, weil sie nur einen max. 50 cm breiten markierten Radfahrer-Streifen besitzt, denn sie ist eigentlich viel zu eng, verkehrsreich und hat eine steile 40 m – Steigung als Schiffsdurchfahrt am Ende. Ich warnte Susanne, dass ich nicht halten oder auf sie warten kann. Das wäre zu gefährlich geworden. Dabei rann ihr auf der Brücke vom Schwitzen die Sonnencreme ins Auge, was sie zusätzlich zum Verkehrsstress behinderte. Ich erfuhr es aber erst hinterher. Endlich Astoria! Auf zu unserer Gastgeberin, Amanda, einer jungen, charmanten Krankenschwester, die gegenüber einer alten Feuerwache wohnte.








OREGON
20.08.2023
Der nächste Morgen begann damit, dass wir von Amanda eingeladen wurden mit ihr zum Yoga gegenüber in die Alte Feuerwache zu gehen. Susanne als Yogaspezialistin ging mit. Ich blieb lieber im Quartier, weil ich überhaupt keine Yoga-Erfahrung hatte und mir das als ungeübter Teilnehmer zu peinlich gewesen wäre.
Wir fuhren nach dem Frühstück am Ufer entlang, entdeckten eine altertümliche Hafenbahn voller Touristen und überquerten schließlich die nächste lange Brücke, diesmal zum Glück mit ausreichend breitem Seitenstreifen.








Es folgten mehrere Einkaufszentren, die Verengung des Highways von vier auf zwei Spuren und dann der Badeort Seaside – wobei baden geht in dem höchstens 15°C kalten Pazifik kaum jemand und man sieht höchstens Surfer in dicken Schutzanzügen. Abends erreichten wir Cannon Beach gegen 18 Uhr. Noch am Abend zuvor hatte ich dort online einen Platz auf dem Camping gebucht. Dachte ich zumindest. Der Mann im Empfang wollte gerade Feierabend machen und meinte, es sei keine Buchung erfolgt. Unabgefertigt und desinteressiert wollte er uns wieder wegschicken. Ich schlug vor, die Buchung online zu wiederholen, was er mir mürrisch zugestand. Dann funktionierte es schließlich. Er ging dann fort und ich folgte, weil ich dachte, er wolle uns jetzt unseren Platz zeigen. Denkste. Er sprach dann einen anderen Angestellten an, mit dem ich wieder zurücklaufen konnte und der uns dann einwies. Da wir nur ein Zelt aufstellen durften (obwohl wir ja nicht als Paar unterwegs sind) stellten wir die Fahrräder gegeneinander, die Taschen darunter und warfen das andere Zelt locker als Schutz darüber. Dies war der unfreundlichste und teuerste Platz (53 $) der ganzen Reise … Mit Nachbarn, Sebastian und Laurie, die vor dem Rauch der Waldbrände aus dem Osten Oregons an die Küste geflohen waren, gingen wir in eine gemütliche Bar „The other brother“ mit Mandolinenmusik und Gesang Essen und unterhielten und angeregt, soweit das beim Kneipenlärm möglich war.


21.08.2023
Wir starteten an einem leider etwas dunstigen Morgen, konnten aber den Haystack-Rock bewundern, der als Riesenfelsen wie von einem Giganten geworfen vor der Küste lag und (aus unserer Perspektive) von Menschen wie von winzigen Liliputanern bestaunt wurde. Später – auch weil wir nichts Besseres gefunden hatten, kochten wir Spaghetti an einer windgeschützten Stelle am Rande eines an den Strand grenzenden Grundstücks. Es war sonnig, aber kühl, woran wir uns künftig gewöhnen mussten. Ähnlich wie Mai/Juni an den deutschen Küsten. Sommerlicher Badespaß blieb eine Illusion. Weiter wahnsinnig schöne Ausblicke nach hart erkämpften Steigungen folgen und dann nach langem bergab Manzanita, unser erster State Park Camping für 7$ pro Person, auf dem wir mit einem kanadischen Paar in Kontakt kamen.








22.08.2023
Diesmal eine relativ flache Strecke entlang von Krabbenfischerdörfern und Badeorten wie Rockaway Beach. Auf einer neben der Straße entlangführenden ehemaligen Holztransport-Bahnstrecke verkehren altmodische Züge mit Dampfloks für Touristen. Viel Verkehr, Ferien, alles überfüllt, der Stress führte auch bei uns zu Konflikten und Missverständnissen („wo gehen wir essen -hier? Nein, alles voll… dahinten ist was …. Ach nein, da, na los, komm schon … wo bleibt sie bloß wieder …warum hat er sich jetzt allein Essen geholt? usw.“)











Abends kamen wir dann zu der gewaltigen US-weit bekannte Molkerei von Tillamook (Motto: „Kiss me where it smells, kiss me in Tillamook“) mit Eisverkauf (das musste nun erst mal für uns sein!) Schaubetrieb, bei dem man von oben herab in die Molkerei hinein durch eine Glasfront in der Werkshalle dem Angestellten beim Käseabpacken (Cheddar) zusehen konnte. Nebenbei lief ein Aufklärungsfilm auf einer großen Leinwand. Und natürlich gab es einen Werksverkauf.
Später dann Zelten auf Camping nahe der Stadt und politischer Dialog am nächsten Morgen mit einem republikanischen Texaner, der auf Biden schimpfte und sich hier im Blue-State Oregon wie im Ausland vorkam, wobei wir jedem Streit aus dem Wege gingen und hauptsächlich freundlich verwundert nickten.
23.08.2023
Heute bevorzugten wir, nachdem wir ein neues Ladegerät in Tillamook kaufen mussten, wenn möglich Nebenstraßen. So gab es dann den Old Highway 101, den wir trotz Umweg und steileren Steigungen auswählten, aber für ca. 28 km begegnete uns jetzt kaum ein anderes Fahrzeug. Ein völlig ungewohntes Fahrgefühl durch ruhige Wälder und an wenigen einsamen Gehöften vorbei.








Abends dann Zelten im State Park am Rande von Lincoln City, der Hiker-Biker Platz in einen steilen oberen Winkel an einen Zaun gequetscht, der Weg zur Toilette – eine Herausforderung, wenn es schnell gehen muss… Zum Essen radelten wir wieder und fanden ein mäßig gutes Karaoke Restaurant in die Stadt, dabei crashte ich auf dem Rückweg fast in ein Schlagloch im Dunkeln. Nachts war es dann eisig kalt. Die ersten 10 Etappen hatten wir jetzt hinter uns.
24.08.2023
Wie immer schlängelte sich der Highway 101 an der Steilküste entlang. Wir waren als Radfahrer stolz vom Straßenrand herabblickend sich träge sonnende Seelöwen beobachten zu können – von Vancouver Island her waren mir deren blökende Rufe noch bekannt, so dass ich sie zunächst nur hörend entdeckte und dan rief „Stopp! Seelöwen!“ Ewas, was an dieser Stelle Autofahrern verwehrt bleibt, weil sie es weder wahrnehmen noch hätten sie an dieser Stelle überhaupt halten können.






Mindestens einmal pro Tag sprang meine Kette vorne ab, weil sie vermutlich etwas zu lang war (wie ich inzwischen weiß, aber wäre sie kürzer gewesen, hätte ich hinten nicht auf das oberste Ritzel schalten können, was mir wichtiger war). Ein Autofahrer empfahl uns in Newport einen Fahrradladen, dessen etwas freakiger Besitzer auch keine Idee hatte, uns aber zum Einkaufen das Grocery Outlet um die Ecke empfahl. Denn da wir von der angefragten Warmshowers-Gastgeberin eine Absage erhalten hatten, mussten wir selbst für unser Abendessen sorgen. Im Laden wurden wir dann plötzlich von einer Frau angesprochen, die sich erkundigte, ob wir Quartier suchten und sich als Peggy vorstellte, genau die, die mir eigentlich abgesagt hatte, weil … sie einfach das Datum verwechselt hatte. Sie wollte verreisen, aber erst am nächsten Morgen! Sie hatte schon einen Gast, Michael, der eine Tour mit einem ominösen Fatbike machte. Wir wurden dann zu Steak, Salat und Rotwein und natürlich zum Übernachten eingeladen.

25.08.-26.08. 2023
Eine relativ gemäßigte Strecke mit flachen Abschnitten in Strandhöhe und einigen knackigen Steigungen mit wunderschönen Ausblicken, Zelten abends im Washburne State Park.
Am nächsten Tag dann weiter bis Umqua-Lighthouse State Park, wo die ganze Nacht über das Nebelhorn tönte. Unterwegs wunderschöne Aussichtpunkte, von denen aus wir im Ozean schwimmende Robbengruppen und viele Wasservogelkolonien beobachten konnten. Aber immer wieder schoben sich auch Nebelbänke über die Küste, unabhängig von der Uhrzeit.










27.08.2023
Heute war die Strecke meist flacher und führte entlang der Oregon Dunes. Plötzlich holte uns ein Deutscher ein. Damit wir uns bei dem höllischen Straßenlärm unterhalten konnten, bogen wir kurz auf eine Nebenstraße ab. Simeon, aus der Gegend von Frankfurt, der schon im Mai in Virginia losgefahren war und nach Norden, dann nach Westen und jetzt südwärts auf dem Weg nach LA war. Er hatte auch den Extremsportler Jonas Deichmann ein Stückchen begleitet und ihm eine Banane geschenkt. Natürlich war er schneller als wir.


Dann fuhren wir schließlich über die große North Bay Brücke, bei der man für Autofahrer als Radfahrer ein Warnsignal einschalten kann. North Bay ist schon eine etwas größere Stadt mit entsprechend weit ausladenden geschäftigen Straßen. Wir verließen es nach Einkauf bei Wall Mart Richtung Sunset Bay und waren erst mal weg vom Highway 101! Der Sunset Bay State Park liegt am Ende einer Nebenstraße. Wir trafen auf dem Hiker-Biker-Platz mehrere andere Radreisende aus Kanada und den USA, mit denen wir uns die Ladestation für die Powerbanks teilten.





28.08.2023
Um wieder südwärts auf den 101 zu kommen, mussten wir den hügeligen „Seven Devils Road“ nutzen, ein County Road mit wenig Verkehr, aber vielen kürzeren, heftigen Steigungen um die 12%.

Parallel ein Stücken Mountainbike Rennstrecke. Viel Wald und Wildnis und kein Ort, nirgends. Ziel war eigentlich eine Gärtnerei, ‚Dragonfly Nursery‘, die laut Google auch Camping anbieten soll. Als wir dort ankamen, war dort eigentlich schon geschlossen und von irgendwelchen Campern nichts zu sehen. Ich machte mich an Gewächshäusern vorbei auf die Suche nach Personal und schließlich erschien eine junge Frau, die bestritt, dass man hier campen könnte, aber wir könnten unten an der Einfahrt auf einem lehmigen Platz zelten und das Trockenklo am Platz nutzen… (Auf meine Kritik bei Google hin haben sie sich später wortreich für dem Aktualisierungsfehler entschuldigt). Wir berieten und kurz und entschieden dann, uns darauf nicht einzulassen. Ungefähr 6 km weiter an der Küste versprach der Campingplatz Boyce Camp die bessere Lösung zu sein. Ein kommunaler Platz an der Stelle einer nicht mehr vorhandenen Siedlung, an einer geschlossenen Bucht gelegen und – Selbstbedienung. Kreditkartennummer hinterlassen, freien Platz suchen, das war’s. Und auf der Strecke dorthin fuhren wir an den ersten Zedern vorbei!






29.08.2023
Kurz Wanderung und Schwimmen in der wärmeren Bucht Flora’s Lake – das erste Mal wieder seit der zweiten Etappe, als wir uns im Bach abkühlten. Dann wieder zurück auf die 101 und schließlich als Zwischenstation Port Orford. Hier stoppten wir an einer Galerie und entdeckten einen Holzbildhauer, der uns die ganze Werkstatt zeigte. ‚Tree Wizard‘ – Gary Burns ist sein Name. Seine Frau hatte sich eigenhändig das Nachbarhäuschen selbst gebaut, nur beim Dach hätte sie Hilfe benötigt. Sie zeigte uns stolz alte Zedern-Schindeln, die sie gerade irgendwo gerettet hatte und klärte uns über die Qualitätsunterschiede auf.




Plötzlich hinter einer Kurve, stoppten wir an der atemberaubend schönen Bucht am Battle Rock Bay Side Park, mit einer Tafel, auf der darüber aufgeklärt wurde, wie die weißen Siedler über die Köpfe der indigenen Urbevölkerung hinweg das Land vereinnahmten, was zu seiner einem tödlichen Kampf zwischen einer von Capt. Tichenor befehligten 70-Mann Truppe und den Indianern führte. Dieser gründete dann Port Orford.
Weiter an der malerischen Bucht entlang am Humbug Mountain um eine Kurve herum zum in tiefen Schatten gelegenen State Park, mit lauter Zelt-Nischen zwischen dichten Brombeer- Büschen. Hier hatte man sozusagen sein Privatzimmer.







30.08.2023
Das war eine kurze Etappe nach Gold Beach, aber wir trafen erstens Simeon wieder und zweitens bezogen wir gemeinsam Quartier bei einer Presbyterianer Kirche (Aufschrift: ‚All are welcome here‘) in deren riesigen Gemeindesaal mit Duschen, Toiletten, Kocher, Kaffeemaschine etc. Sie agieren als Warmshowers-Host. Am Hafen lag ein halb versunkenes Schiff, die Mary D.Hume. Dazu stand am Ufer auf einer großen Tafel wird ihr Schicksal beschrieben. Die Hume hatte eine lange Karriere hinter sich, zunächst als Gütertransporter zwischen Oregon und San Francisco, dann als Walfänger in Alaska, als Serviceschiff im Konservenhandel in Alaska und dann als Schlepper. 1977 wurde sie in den Ruhestand versetzt und kehrte zu letzten Ruhe nach Gold Beach zurück. 1985 sank sie im Rogue River und liegt seitdem als Wrack am Ufer. Sie gehört zwar zu den Nationalen Historischen Monument, gleichwohl tut niemand etwas für die Konservierung. Abends machten wir noch zu dritt einen wunderschönen Sonnenuntergangsspaziergang.







31.08.2023
Wir erreichten jetzt den Harris State Park bei Brookings, wo ich uns abends noch Bier holen fuhr. Das war so eine Gewohnheit geworden, dass wir abends entweder Bier oder Wein tranken, obwohl es außerhalb der Zelte schnell meist empfindlich kühl wurde, wenn wir an unserer Tisch-Bank-Kombination saßen.






KALIFORNIEN
01.09.2023
Die letzte Etappe in Oregon von Brookings nach Crescent City (Kalifornien). Es war kühl und diesig. Wir entdeckten, dass es an der Oregon-Küste entlang nicht nur wunderschöne Aussichtspunkte, sondern auch einen Trail für Wanderer parallel zum Highway gibt (siehe Bilder oben.)



Schließlich, nach den ersten Palmen und genau 365 Meilen, eine große Tafel: Welcome to California – hier musste natürlich ein Erinnerungsfoto gemacht werden!
Ich verlor unterwegs eine Schraube vom Ständer und suchte in den Außenbezirken von Crescent City nach einer geeigneten Werkstatt, weil ich keinen passenden Ersatz bei mir fand. Einem Hinweis auf eine Autowerkstatt folgend landeten wir an einem Grundstück mit Scheune – die ehemalige Werkstatt. Ich erklärte was ich brauchte und der Besitzer ging mit mir in die völlig verkramte Scheune, wo wir in schlechtem Licht nach Ersatz suchten und schließlich fanden, während sich Susanne mit seiner Frau unterhielt und ausgiebig Auskünfte über unsere Reise gab. Wieder eine Kirchengemeinde als Warmshowers-Host: St. Paul’s. Kathy empfing uns erklärte die Hausregeln, wovon die bemerkenswerteste war, dass sie herzlich umarmt werden wollte. Fünf andere Radreisende, die wir schon auf vorigen Plätzen getroffen hatten, waren ebenfalls da und hatten schon Essen gekocht. Wir wurden von Mickey zum Essen eingeladen, Ron spielte sehr professionell Gitarre und sang amerikanische Folksongs. Ein netter Abend in großer Runde mit Fotovorführung.
02.09.2023
Nach einem Umweg zu Walmart wegen Gaskartouchen und einem Ersatz-Rücklicht (das ich dann irgendwo wieder verlor) ging es nach einer Weile mehrere Kilometer steil bergauf, wobei uns andere Radreisende (mit Begleitfahrzeug für das Gepäck) überholten. Jetzt kamen unsere ersten riesigen Redwoods am Straßenrand. Und später ein ganzer Redwood Wald aller Altersstufen und dem 96 m hohen Big Tree.






Ein Touristenzentrum „Trees of Mystery“, bei dem man mit Gondeln zwischen den Redwoods entlang segeln konnte, reizte und weniger als das Ureinwohner-Museum darunter.












Das war eine schwere Etappe mit vielen Steigungen bis 386 m, die aber zum Glück am Ende vom Highway 101 wegführte. Wir kamen erst knapp vor Dunkelheit im Elk Prairie State Park an. Abends haben wir Lea aus Ulm, eine junge Triathletin, arbeitet bei Garmin, und auch die anderen fünf aus Crescent City wieder getroffen.
03.09.2023
Fast hätten wir unsere erste Bärenbegegnung gehabt, als wir morgens den Platz über einen Pfad durch den Hinterausgang durch eine bemerkenswerte Redwood-Wildnis verließen. Aber es war nur ein Riesenhaufen Bärenscheiße … An einem Naturparkzentrum entzückten uns nistende Seeschwalben. Fast hätte ich dort mein Tablet liegen gelassen! Das Mahnmal eines vor 10 Jahren verunglückten Radsportlers an der Böschung des Highways machte uns nachdenklich. Sich sonnende Seelöwen auf einem Felsen entzückten uns hingegen wieder. Dann kam Clam Beach, fast der armseligste Campingplatz bisher mit unbeleuchteter stinkender Toilette, provisorischen Wasserhähnen mit Kaltwasserduschen im Freien. Zelten auf einer Betonfläche. Immerhin schenkte und der Platzwart Feuerholz, das uns aber nicht viel nützte, weil es zu feucht war und die Feuertonne so stand, dass wir im Qualm saßen…












04.09. Morgens erst einmal einen Strandausflug! Denn bisher lagen die allermeisten Plätze hoch oben auf der Steilküste. Baden? Brrrr… zu kalt! Wir hielten uns weitgehend abseits des Highway 101 auf einer parallelen Nebenstraße und fuhren durch richtiges Flachland, vorbei an kleinen, teils verlassenen Farmen und blühenden Lilien („Naked Ladies“) kamen wir nach Eureka. Wieder einmal eine richtige Stadt, in der wir in einem urigen Café zum Essen einkehrten. Großflächige künstlerische Graffiti bereicherten das Stadtbild.























Aber wir wollten weiter. Weiter zu unserer nächsten Warmshowers-Gastgeberin nach Loleta, einem Dörfchen abseits des Highways, wo wir im Garten zelten durften.
05.09.2023
In Loleta waren wir zu Gast bei Angela Ruth Cameron und Jamie. Wir zelteten im traumhaft schönen Garten, am Morgen hatten wir einen längeren Plausch mit ihr am Frühstückstisch. Angela hatte 35 Jahre lang als Volksschul-Lehrerin in Eureka gearbeitet hat. Sie töpfert und verkauft ihre Arbeiten auch über das Internet und in Läden und auf Märkten. Jamie spielt Gitarre, Kontrabass und Klavier und spielte in einer Band, die Kirchenmusik gemacht hat. Sie haben ein schönes Haus mit bodentiefen Fenstern zum Garten hinaus und nur nachts war der mehrere Meilen entfernte Ozean zu hören, tagsüber waren der Highway 101 und andere Geräusche zu laut. Ein andauerndes Rauschen, sehr romantisch!









Auf nach Burlington, dem ersten Campingplatz im Redwood National Park! Es ging zunächst durch ein weniger bergiges ländliches Gebiet, später dann noch einmal kurz auf den inzwischen 4-spurigen Highway 101, bis wir auf den parallellaufenden alten Highway ausweichen und unter überwältigenden Redwoods fahren konnten.




06.09.2023
Unter diesen Riesen zelteten wir auch. Morgens sahen wir einen weißen Tesla wie einen seltsamen Fremdkörper zwischen den Bäumen stehen und ein rotes Feuerwehrauto faszinierte besonders Susanne.




[Anmerkung zur Waldbrandsituation: Zum Glück ist der unmittelbare Küstenstreifen wegen der meist auflandigen Winde weniger gefährdet. Nur einmal fuhren wir an einem Waldstück entlang, das erst vor Kurzem gebrannt hatte. Aber überall gab es aufmunternde bzw. Dankbarkeit verkündende Schilder für die Firefighter. Einige ostwärts führende Straßenverbindungen waren gesperrt. Möglicherweise hatte das den Verkehr auf der 101 noch verstärkt. Aber vorsichtshalber checkte ich immer wieder die genaue Situation auf der Strecke vor uns.]
Seit 2 Tagen waren die Ferien zu Ende, mit der Folge, dass der Verkehr auf den Straßen spürbar abnahm und die State Parks leerer waren. Auf dem Weg nach Benbow ließen wir es uns nicht nehmen, im Eel-River zu baden, denn da wir jetzt weiter im Inland fuhren, war es täglich wärmer. Wir passierten auch einen der „Drive-Thru-Trees“, mächtige Redwoods, ausgehöhlt, so dass man hindurch fahren kann. Und noch ein weiterer, noch mächtiger Redwood… Später wurden wir von zwei sportlichen Frauen, Helen und Leslie aus Los Angeles eingeholt, die mit leichtem Gepäck und auf Gravel Bikes (mit zu wenig Gängen!) von Nord nach Süd unterwegs waren. Sie übernachten in Hotels (179.- $ für ein Doppelzimmer mit 2 King-Size-Betten…was für ein Luxus!).





Das Ferienende hatte zur Folge, dass der Platz in Benbow bereits geschlossen war. Zwei einsame RV’s standen in der Nähe der Einfahrt, einer war noch bewohnt und der Besitzer, Steven, gestattete uns in seiner Nähe zu zelten und versorgte uns sogar mit Wasser aus seinem Tank. Nachts konnten wir unsere Taschen mit Lebensmitteln und Kosmetik bärensicher in seinem Wagen abstellen. Ein ehemaliger Polizist, der auch mal an irgendeinem Erfahrungsaustausch in Berlin teilnahm.
07/08.09.2023
Weiter nach Standish Hickey, unserem letzten State Park Camping im Redwoods National Park. Unterwegs hielt mitten auf dem Highway ein Kerl mit einem Wohnmobil und wartete auf uns. Er kam ursprünglich aus Puerto Rico, ist bis nach Alaska gefahren und war jetzt auf dem Rückweg. Er hielt extra an, um sich mal zu unterhalten. Wahrscheinlich wurde es ihm einfach zu einsam…







Jetzt wurde es endlich für uns Zeit für einen Tag Pause. Zum Einkaufen mussten wir ein Stück weiter nach Legget fahren. Und da gab es ein kleines Desaster, denn meine Visa-Card funktionierte beim Bezahlen plötzlich nicht mehr! Susanne hatte ja ihre leider vor Aufregung in Deutschland vergessen und so lief immer alles über meine Karte, auch die Bargeldversorgung. Zum Glück hatte sie gerade noch genug Bargeld um erst einmal den Einkauf zu bezahlen und – ich hatte noch eine Mastercard als Notfallkarte (nur gerade nicht jetzt). Da das alles auf ein Missverständnis meiner Bank zurückzuführen war, – denn ich fand nach Rückkehr zuhause, wie praktisch, im Briefkasten eine neue Visa-Card vor-, bekam ich dann noch 50 € Schadensersatz. Aber dieser nächste Tag Ruhe mit Wanderung und Badespaß in einer stillen Bucht und etwas Abstand zueinander musste auch mal sein. Der Standish Hickey State Park war ein allgemeiner Treffpunkt für Radreisende – wir trafen Ron, Brandon, und Mickey wieder und lernten Klaus aus Bielefeld kennen. Er wohnt jetzt in Holland, und fährt ein handgearbeitetes Klapprad aus Eugene der Marke Green Bikes (!), der Koffer dazu wird als Anhänger hinterher gezogen. Don hatte ein Riesenproblem mit seinem Vorderreifen, bei dem der Schlauch aus dem kaputten Mantel hervorquoll und so musste er erst einmal mit dem Bus zum nächsten Fahrradladen 50 Meilen weiter nach Fort Bragg fahren. Ein supernettes Pärchen aus Kanada, Doris und John waren unsere Nachbarn und sehr angenehm, auch wie friedlich sie miteinander kommunizierten.
09.09.2023
Ab heute fuhren wir auf California 1, also nicht mehr auf Hwy101 und wir mussten die längste und höchste Steigung bewältigen, bis 580 m, in ewigen Serpentinen. Sie erwies sich aber als viel weniger schwierig, als man anhand des Streckenprofils (angeblich 15-20%igen Steigungen mit Haarnadelkurven) befürchten musste und so waren wir schon mittags am Pass, wo sich in Hales Grove ein Antiquitätenstand mit einem freakigen Besitzer und allerlei merkwürdigem Kram an der Straße befand.







Dann ging es 25 km nur bergab bis auf Meereshöhe – und je tiefer wir kamen, desto nebliger wurde es! Und wieder kühl.



Die zweite Steigung des Tages bis ca. 250 m war dann viel heftiger als die Erste, manchmal war es an den Innenseiten der Kurven so steil, das wir Mühe hatten, die Fahrräder bergauf zu schieben, von Fahren ganz zu schweigen. Und mal eben auf die Außenseiten der Kurven zu wechseln, war wegen des Verkehrs zu riskant.
[Grundsätzlich zu den Steigungen auf dieser Reise: Wer aufgrund der Höhenangaben meint, dass das doch so schlimm nicht gewesen sein kann, dem sei gesagt, dass die Pazifikküstenstrecke in der Summe mehr Höhenmeter hatte, als vergleichsweise die norwegische Küste im Jahr davor. Und – ich habe etliche Hochgebirgsüberquerungen hinter mich gebracht -, die ich rückblickend als weniger schwierig empfand, weil es einen erkennbaren Anfang und ein Ende gab. Darauf konnte ich mich leichter einstellen. Hier jedoch hatten wir immer wieder um die 1000 Höhenmeter pro Tag, weil es ja auch wieder bergab bis auf Meereshöhe und dann wieder bergauf ging. Zudem wurde ich noch während der Reise 74 – und wie sagt man so schön – mit jedem Jahr werden die Berge steiler…]
Nachdem die beiden Pässe hinter uns lagen, änderte sich die Landschaft völlig. Jetzt war es eine nebelverhangene hügelig, kurvige Küstenstraße und es kam Westport, der erste nennenswerte Ort nach 45 km mit einem netten Community Store (Tante-Emma-Laden), betrieben von einer jungen Familie mit Kind, den wir endlich zum Kaffeetrinken nutzten.





Weiter ging es dann noch bis zum McKerrisher State Park.
10.09.2023
Nebel, Nebel und dann ganz plötzlich strahlend blauer Himmel. In Fort Bragg konnten wir wieder Gaskartouchen nachkaufen. Und dann Mendocino – ein Ort der uns mit der berühmten Melodie sofort einen Ohrwurm bescherte. Der Ort ist sehr touristisch geprägt, entsprechend hoch waren die Preise und bis wir uns entscheiden konnten, wo wir was essen wollten, hatte nur noch eine Eckbar geöffnet.





Noch ein paar heftige Steigungen und dann unser Ziel, Van Damme State Park – hier genossen wir einen Strandausflug in der Abendsonne.




11.09.2023
Tadaaa … Ich habe Geburtstag. Der seltsamste Geburtstagsplatz – ein Campingsite als Insel zwischen Büschen, morgens noch im Vollschatten gelegen. Susanne hatte meinen Platz liebevoll mit ein paar Blümchen dekoriert. Schnell auf in die Sonne, denn es war sehr kühl und noch kurz Einkaufen, da dräute schon die nächste Nebelbank. Hier jetzt noch was essen oder später im kalten Wind oder wo? Ein Konflikt war geboren und ließ sich erst mal nicht lösen. Zu zweit reisen ist manchmal kompliziert. Die Strecke bescherte uns eine mit Weihnachtskugeln (!) geschmückte Kiefer am Straßenrand, eine karge, zerwühlte Landschaft mit vielen kurzen Auf und Ab’s, Zedernalleen und Pferde zwischen rosa Lilien grasend (die mögen sie aber nicht).
Und abends landeten wir bei Nebel am nächsten geschlossenen State Park Manchester Beach. Zum Glück gab es eine private Konkurrenz, die ich immer gemieden habe, weil ihr der Ruf vorauseilt, luxuriös und zu teuer zu sein. KOA! Vielleicht wegen der billigeren State Park Konkurrenz bieten sie Hiker-Biker-Plätze für 30 $ – natürlich teurer, aber bezahlbar – mit Schwimmbecken, heißem Pool und gut sortierten kleinen Lebensmittelladen. Ein bisschen Luxus muss auch mal sein …!
Sue aus Flagstaff (Arizona) leistete uns am Abend noch Gesellschaft.





12.09.2023
Einen Monat sind wir nun unterwegs. Heute passierten wir eine alte russische Fischersiedlung (Russian River) aus Zarenzeiten, als die Gegend von den weißen Europäern noch nicht besiedelt war und Alaska noch zu Russland gehörte. Hier ein paar Bilder vom Friedhof und der anschließenden Idylle.




Auch der State Parke Gerstle Cove hatte schon geschlossen. Ein Schild verwies uns ein kurzes Stück weiter nach Woodside. Hier kostete der Platz nur 5 $, dafür gab es kein warmes Wasser zum Duschen und kein Licht in der Toilette … Wir trafen Brady wieder und einen jungen Kanadier mit einem Käppi und der Aufschrift FREE, der für die Strecke von Victoria (BC) nur dir halbe Zeit im Vergleich zu uns gebraucht hatte. Alle Powerbanks hingen einträchtig außen am Haus über Nacht zum Laden…
13.09.2023
Heute fuhren wir zeitweise auf einer malerischen Strecke über den Wolken entlang – Zwischenstation an einem netten Café ohne eigene Toilette und dann am Ende in den Nebel hinein zum State Park (Rezeption nicht besetzt) nach Bodega Bay.







13.09.2023
Wir trafen Wiebke, eine Architektin aus Hamburg, die schon den Great-Divide-Track (GDMBR) gefahren war und wurden abends von Steven aus San Diego an seinem RV zum Lagerfeuer eingeladen. Er ist 75 und Vietnam-Veteran. Der erste, den wir kennenlernten und er reist eigentlich ohne festen Wohnsitz nur noch umher. Irgendwann wurde es uns zu kalt – ab in die Zelte.
14.09.2023
Erst hatten wir netten Rückenwind, dann machte die Straße eine große Kurve von der Küste weg und wir bekamen zusätzlich zu kurzen, gemeinen Steigungen heftigen Gegenwind und mehrfach an diesem Tag, sprang mir vorn die Kette ab und nötigte zu uns zu Pausen an den unmöglichsten Stellen. Ich fluchte, Susanne fluchte und brauchte Abstand. Die Landschaft – eine karge, hügelige Weidelandschaft.







Abends dann der letzte State Park vor San Francisco – dem Samuel P Taylor Park. Hier wuchsen einige Redwoods, unsere südlichsten. Wir kamen erst nach 19 Uhr und schon fast um Dunkeln an und fanden kaum noch genug Platz auf dem staubigen und viel zu kleinen Hiker-Biker Platz mit vielen Reiseradler-Kollegen am gemeinsamen Tisch. Auch Wiebke war mit ihrer Super Bikepacking Maschine längst angekommen. Ich schenkte ihr unser restliches Gas, denn sie wollte noch weiter nach Mexico, wo sie dann ihre Freundin traf. Mich überraschte eine junge, gerade mal 18 Jahre alte Kanadierin, die die Strecke allein auf ihrem Rennrad gefahren war. Nachts schliefen wir unter den letzten Redwoods beim Gemurmel eines Baches ein…
15.09.2023
Auf zu letzten Etappe nach San Francisco! Nur noch 50 km, die es aber in sich hatten, obwohl es zunächst mit einem Zweitkaffee an einem netten Laden recht gemächlich los ging. Irgendwann wurde es immer städtischer und wir passierten die nördlichen Vorstädte Fairfax, San Anselmo, Ross und Sausalito, mit einem Gewirr kleiner Vorstadtstraßen und immer heftigeren Steigungen, je näher wir der Golden Gate Bridge kamen. Fahren wir rechts oder links über die Brücke? Um auf der linken Seite mit Sonne von rechts über die Brücke zu fahren, hätten wir noch einen Umweg durch einen Tunnel zu machen, zu dem wir keine Lust hatten, denn Sonne schien eh kaum. Dann landeten wir auf einem großen Parkplatz, an dem die Sightseeing Busse parkten zwischen lauter Selfies knipsenden Touristen, kletterten auf eine Mauer und hatten ihn endlich DEN BLICK auf DIE BRÜCKE. Das Angebot, von einem jungen Kerl uns gemeinsam ablichten zu lassen, lehnten wir nicht ab. Dann los, über die Brücke. Ein Schild, dass nach 16 Uhr der Radweg auf der rechten Seite zu benutzen wäre, ignorierten wir nach kurzer Überlegung, ob wir jetzt noch mal zurück und durch den Tunnel auf die andere Seite wollten und siehe da, andere ignorierten das auch. Die Verkehrsflut auf der Brücke erzeugte einen höllischen Lärm! Unkenzentrierte Fußgänger forderten äußerst aufmerksames Reagieren. Neben waberte durch die Brückenpfeiler und erzeugten ein mystisches Bild. Von Sonne war kaum etwas zu sehen. Also keine Postkartenfotos!
Mit unserer Warmshowers – Gastgeberin Cindy hatten wir uns in einem von ihr benannten Café verabredet. Eine Sicherheitsstrategie von ihr, damit sie die Gäste nicht erst vor ihrem Haus sieht.
Es war etwas kompliziert, dort hin zu navigieren, und natürlich empfahl der Navi zwar die kürzeste, dafür aber auch steilste Strecke am Nationalfriedhof vorbei…













Mit Cindy hatten wir die ideale Gastgeberin. Sie beherbergt immer wieder Warmshowers-Gäste in einem Souterrain-Zimmer und ist auf alles Mögliche vorbereitet. Zum Beispiel die größte Sorge – wo bekommen wir Verpackungen für unsere Fahrräder für den Rückflug her und wie kriegen wir die dann zu unserem Quartier – war bereits zur Hälfte gelöst. Denn ein passender Karton war schon da, den anderen holten wir gemeinsam im Fahrradladen an der nächsten Ecke. (Im Gegenzug hat der Laden dann in ihr jemanden, die den Verpackungsmüll mitnimmt). Cindy gehört das halbe Haus, das sie sich von einem im Vergleich zu Deutschland sehr großzügigen Gehalt als ehemalige Krankenschwester in leitender Position leisten konnte. Und der Hammer, wir brauchten uns keine Sorgen machen, wie wir zum Flughafen kämen, das würde sie schon regeln!
16.-17.09.2023
Ein Wochenende für San Francisco ist wirklich nicht viel! Aber irgendeinen Rückflugtermin mussten wir ja planen. Also hieß es, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Aber was ist schon wesentlich? Am Samstag entschieden wir, uns nicht auf ein unbekanntes Nahverkehrssystem zu verlassen und fuhren natürlich ohne Gepäck mit unseren Rädern (die Stadt liegt auf über 40 Hügeln) zunächst zur Lombard Street, der steilsten Straße von San Francisco überhaupt, die sich quer durch Blumenrabatte abwärts schlängelte und, diese mit gezogenen Bremsen hinabzugleiten ließen wir uns nicht nehmen. Zeitraubende Aktivitäten, wie Alcatraz, klammerten wir aus – das kennt man ja aus Spielfilmen sowieso schon. Mittags dann hinunter zum Essen in ein sizilianisches Restaurant an der Jefferson Street und in der Nähe der Fishermans Warf gelegen. Weiter am Hafen entlang. Später ein Café zu finden wurde zu einem komplizierten Suchspiel mit Google Maps besonders wegen der vielen Einbahnstraßen, – in diesem Punkt erwies sich die Stadt als enttäuschend. Da hat vermutlich Corona viele Läden sterben lassen. Wir fanden dann doch ein kleines italienisches Café und entschieden uns zwischen den vielen Möglichkeiten jetzt anschließend für China-Town.























Am nächsten Tag wollten wir uns von unserem Zeitmangel nicht unter Druck setzen lassen und machten einen längeren Spaziergang durch den Golden Gate Park, einem der größten innerstädtischen Parks der Welt, in dessen Nähe wir ja wohnten. Eindrucksvoll war, besonders für Susanne als Hobbygärtnerin, der Dahliengarten. Weiter auf dem Kennedy Drive, der den Park der Länge durchzieht, mit einem Blick auf das silbrig im Sonnenlicht gleißende monumentale viktorianische Gebäude des Botanischen Gartens (Conservatory of Flowers). Dann zum Denkmal von Francis Scott Grey, dem Dichter der amerikanischen Nationalhymne, das am Gedenktag der Abschaffung der Sklaverei 2020 vom Sockel gestürzt wurde. Statt es wieder aufzurichten, wurde es durch die Künstlerin Dan Gray 2021 von 350 symbolischen Sklavenfiguren umringt und heißt jetzt „Monumentale Abrechnung“. Vorbei an einer Freilichtbühne dann zu einem modernen Skulpturengarten, auf der Westseite des De Young Museums, entworfen nach dem Erdbeben von 1986 vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron. Sie sind auch Architekten der Hamburger Elbphilharmonie! Die rostbraune Fassade des Gebäudes wirkte auf seiner Schattenseite auf mich eher wie ein bedrohlicher Klotz. Leider war uns nicht bewusst, wie spät es schon war, und wurden wir kurz vor 17 Uhr, nachdem wir das Museum betreten hatte, gleich wieder nachdrücklich hinauskomplimentiert, denn es wurde geschlossen. Nach ein paar weiteren Schlenkern durch das angrenzende etwas wohlhabendere Viertel gelangten wir wieder zurück. Abendessen und Sachen Packen war angesagt.















Am 18.09. chauffierte uns unsere Gastgeberin freundlicherweise mit ihrem Auto samt Fahrrädern zum Flughafen und wir landeten wohlbehalten am Tag danach wieder müde in Berlin.

ZUSAMMENFASSUNG
In 38 Tagen fuhren wir ca. 1800 km in 31 Etappen mit 14.490 Höhenmetern (das sind 8 Höhenmeter pro Kilometer, für Statistik-Fans. An der bergigen norwegischen Küste waren es zum Verleich 7,5 hm/km). An den allermeisten Tagen hatten wir Rücken- oder Seitenwind. Geregnet hat es selten und dann meist nachts. Die höchste Temperatur hatten wir am Anfang mit 38°C. Meist lagen die Temperaturen um die 20°C und, je näher wir Kalifornien kamen, desto häufiger fuhren wir im Küstennebel. Der Pazifik hatte eine Temperatur um 15°C und kühlte die Luft an der Küste entsprechend ab. Die Natur war sehr von Trockenheit geprägt, – die Ausbreitung von Walbränden ließ sich aber über Google Maps verfolgen. Die hohen Kosten für Lebensmittel und anderes wurden durch die geringen Gebühren für das Zelten in den State Parks und 8 mal kostenlose Unterkunft bei Warmshowers-Gastgebern wieder ausgeglichen. Ca. 33 $ für pro Tag/Person in 38 Tagen waren insofern vertretbar. Alles in Allem war es eine gelungene Reise.
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