Nachdem ich wieder zuhause war, habe ich einmal „Inventur“ gemacht.
Das Einfachste sind zunächst mal die nackten Zahlen. 123 Tage war ich in Kanada. „Reine“ Etappenkilometer waren es 8164, allerdings, die Addition aller GPS-Tracks ergibt nur etwas über 7900 km, die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. Dazu kommen dann 400-500 km die ich sonst noch so herumgefahren bin: Zum Einkaufen, eine Stadt zu besichtigen usw. Es war meine längste Reise überhaupt. Die Aufenthaltskosten lagen bei knapp über 5000 €. Das war auch in etwa der Rahmen, den ich mir als Maximum vorgegeben hatte. 1830 € entfielen davon auf alle Übernachtungen:
warmshowers Gastgeber = 23 Nächte (=umsonst) |
andere private Gastgeber = 9 Nächte (=umsonst) |
im Zelt (59 Campingplätze, 1x wild) = 60 Nächte (zwischen 0 und 46 $) |
im Motel = 16 Nächte (zwischen 50 und 106 $) |
Durchschnittskosten ALLER 123 Nächte = 20,83 $ bzw. ca. 14,90 €. Bleiben etwa 25 € täglich für alles andere einschließlich Reparaturen und Ersatzteilen: 2 neue Ketten, 1 neue Kassette, 1 neuer Sattel, 1 neuer Mantel + Kleinkram und Werkstattkosten. |
Die meisten Lebensmittel sind etwa 20-50% teurer als in Deutschland (Wurst, Käse, Milch, Gemüse, Obst). Kaffee ist billiger, Gebäck etwa gleich. Ich habe etwa 11 kg abgenommen, nehme aber inzwischen wieder zu…
Etappen = 97 |
Ruhetage = 26 |
Durchschittliche Etappenlänge 84,15 km |
Längste Etappe = 151 km |
Reine Gegenwindtage = 11 |
Reine Rückenwindtage = 41 (!) |
Reine Regentage = 5 |
Tage mit Regen = 11 |
Etappen mit mehr als 100 km = 20 |
Ich habe mehr als 2000 Fotos gemacht, die etwa 1000 besten, nach Provinzen geordnet, kann man hier sehen: Meine Kanada Alben Ich werde Vorträge über die Reise halten, z.B. beim ADFC Berlin am 19. Februar und am 22. April 2016.
War es das alles wert? Es ist zunächst mal eine Grunderfahrung, was ich zu leisten in der Lage bin, wenn ich vermeide mich zu überfordern. D h. dass ich nur wenig daran interessiert bin, täglich Rekorde zu brechen. Ich kann mich mit Jüngeren, die Vergleichbares machen, ohnehin nicht vergleichen. 3000 km in 4 Wochen wie die beiden Mädels, die ich in Yorkton traf – undenkbar! Und es hat mir auch gezeigt, wo meine Grenze liegt (151km an einem Tag). Auf den letzten Etappen hatte ich echt genug und wollte nur noch „endlich ankommen“. Ich habe aber der Versuchung abzukürzen oder auf Bahn bzw, Bus auszuweichen widerstanden, nicht zuletzt weil es mir vor der umständlichen Umpackerei graute. Gegen Ende habe ich sogar einen Umweg gemacht, weil ich sonst viel zu früh in Halifax gewesen wäre und keine Idee hatte, was ich da so lange soll.
Die Erfahrung dieses weiten Landes, das Wahrnehmen (fast) unberührter Natur hatte ich in diesem Umfang bisher nicht.
50-100 km kein Ort? Da muss man durch. Gut planen und vorher einkaufen. Alles nur eine Sache der inneren Einstellung. Wenn ich etwas vorher weiß und bewusst angehe, dann komme ich damit gut klar. Wenn es mich allerdings überrascht, dass ich mich womöglich verrechnet habe oder Angaben in der Karte falsch waren, dann treibt es mich durch alle Gefühle von Wut, Ärger und Frust, bis ich mich wieder damit arrangiert habe. Zum Beispiel hier ab dieser Kreuzung (Foto unten): Ab sofort 30 km statt 20 km mit starkem Gegenwind und max. 8-12 km/h in der Prärie – das klingt nicht nach viel, aber da musste ich erst mit klarkommen. „Leere“ Gegend, die Straße schnurgeradeaus. Übung: Weit entfernte Büsche anpeilen und die Entfernung schätzen. Zwischenziele mit dem Navi setzen und versuchen, die Zeit dahin einzuhalten.
Selbstakzeptanz: Immer wieder habe ich mich damit auseinander gesetzt, was andere, deren Blogs ich gelesen hatte, geschafft oder gemacht haben: Mit 10 $ pro Tag auskommen. Nur wild zelten. Im Schnitt über 100 km fahren. Mit jedem Wetter klarkommen. Und ich breche nach 6 km ab, weil es stark regnet und flüchte in ein Motel!
STOP!
Es ist okay so. Ich habe dann, als das Wetter schneller besser wurde als befürchtet, ganz andere Dinge erkundet und bekam ein kostenloses Konzert am Abend geboten. Dieses Vergleichsdenken zu stoppen war eine immerwährende, aber wichtige Übung, denn Vergleiche gehen selten gut für einen selbst aus. Ja, ich bin kein Survival-Fanatiker. Ich mag es gern so bequem wie möglich, solange es bezahlbar bleibt. Regenwetter ist der Horror für mich, weil es effektiv keine Schutzkleidung gibt, die vor dem Nasserwerden schützt. Wild zelten: Nur wenn es sein muss, ich fühle mich nicht sicher genug um ruhig zu schlafen. Und wenn ich das mal ändern will, brauche ich erst einen anderen Vorsatz. Meiner lautete: Ich durchquere Kanada mit dem Rad. Nicht mehr und nicht weniger.
Was fehlte? Angesichts der Gesamtplanung wusste ich nie, wie lange ich mir wirklich leisten kann, an einem Ort zu verweilen. Dadurch fehlte die Vertiefung, einen Ort ganz genau kennen zu lernen. Zudem hatte ich das Gefühl, dass ich einem Gastgeber nicht länger als 2-3 Nächte zur Last fallen möchte. Das ist die halbe Wahrheit. Die andere Seite ist, dass ich sowieso ein eher unruhiger Typ bin, den es schnell weiter treibt, obwohl mich viele als eher gelassen wahrnehmen. Ich konnte noch nie länger als ein paar Stunden irgendwo an einem Strand liegen. Große Städte fasznieren mich einerseits, aber sie nerven mich auch, das habe ich zuhaus zur Genüge (Berlin). Ich wollte auch keine langen Wanderungen durch unwegsames Gelände riskieren, weil ich mich mit meinem Knie nach dem Kreuzbandanriss vom vergangenen Jahr zu unsicher fühlte, um mich auf unübersichtlichen Wegen stabil zu halten. Das war früher anders. Und es hat sich auch immer mal gezeigt, dass das Knie nicht wirklich OK ist. D.h. die Wildnis rechts und links der Straße sah ich daher nur im Vorbeifahren. Aber die Entscheidung zur Vorsicht war richtig.
Ich bin wieder daheim, aber ich spüre im Moment eine größere Distanz zu allem was mich umgibt. Ich werde sehen, wie ich damit konstruktiv umgehe.
Frank-Uwe trifft den Nagel auf den Kopf:
„Ich habe das Unternehmen gespannt verfolgt und großen Respekt vor Deiner Leistung, psychisch wie physisch.“
Das ging mir auch so.
Für Deine Vorträge wünsche ich Dir viel Zuspruch, damit ein Teil der Kosten wieder reinkommt. Ich werde eher nicht dabei sein – ich bin nicht nur, aber schon innerhalb Berlins reisefauler, als mensch sich das vorstellen kann.
Herzlich
Tom
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Danke Felix, für das Teilhaben lassen an Deinen Gedanken und Gefühlen während der Reise und im Abstand von heute. Die Versuchung, abends im Zelt einfach die müden Knochen auszustrecken und die Augen zu schließen, statt noch irgendwelche Blogs zu füttern, war sicher groß. Ich habe das Unternehmen gespannt verfolgt und großen Respekt vor Deiner Leistung, psychisch wie physisch. Du hast genau das getan, was Du wolltest: Kanada mit dem Rad durchqueren (und gesund wieder zu Hause zu landen). Das ist großartig und kann Dir keiner nehmen! Ich kann mir auch gut vorstellen, dass so eine Tour das eigene Leben verändert. Deine gespürte Distanz ist da vielleicht nur der erste Schritt. Was kann einem besseres passieren? Spannend!
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