Vorbemerkung: In diesem Blog verwende ich immer wieder sowohl polnische/litauische als auch ehemalige deutsche Ortsnamen, sofern sie historisch relevant waren. Dies entspricht oft auch den Bezeichnungen in Google Maps, auch wenn sie dort zur geografischen Orientierung unnütz sind.


Am 5.08.2025 fuhr ich nachmittags von Berlin Lichtenberg mit dem Zug nach Poznań/Posen. Auf dem Bahnsteig traf ich noch eine andere Radfahrergruppe aus Berlin, was mir das Einsteigen mit Fahrrad und Gepäck in gemeinschaftlicher Aktion erleichterte. So hatten wir eine unterhaltsame Fahrt. Pünktlich kam der Zug in zweieinhalb Stunden später in Posen an und, wie vorhergesagt, regnet es. Das war dann vorerst, zum Glück, der letzte Regen.
Etwas umständlich fand ich den Weg zum Ausgang auf die Bahnüberführung und musste eine lange Schleife auf die andere Straßenseite fahren. Von dort konnte ich mit Hilfe der auf meinem Navi im Voraus gespeicherten Route schnell den Weg zu meiner warmshowers – Gastgeberfamilie finden. Das Fahrrad konnte ich auf dem Hof parken und sie halfen mir, das gesamte Gepäck bis in das vierte Stockwerk hochzutragen. Oben angekommen, zeigte man mir mein Bett an einer Wand, die mit 4 hängenden Fahrrädern dekoriert war. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich unter Fahrrädern schlief! Zuvor jedoch erzählte ich ihnen bei einem Abendessen mit auf den Fernseher übertragenen Fotos von vorigen Radreisen.

06.08.25
Am Morgen machte ich mich zeitig auf den Weg. Ich war mir noch unsicher, wie viel Zeit ich der Stadt Posen/Poznań widmen wollte und fuhr ein wenig kreuz und quer durch die Altstadt. Ich machte einige Fotos in dieser zweitgrößten polnischen Stadt, immer auch nach Resten deutscher Vergangenheit forschend, wobei ich aber den Protzbau des wilhelminischen Schlosses ausließ.









Aber bald zog es mich weiter, denn als Berliner ist mein Bedarf an Großstädten schnell erschöpft.
So navigierte ich bald zu meiner mit Komoot vorgeplanten Route am Malta-See, einer Regattastrecke, entlang auf einem ordentlichen Radweg durch eine langen Park. Plötzlich geriet ich an einem Bach an eine Brücke mit einer Treppe. Mir blieb nichts anderes übrig, als abzusteigen und erst das Gepäck, dann das Fahrrad hochzutragen.

Und dabei befand ich mich nicht nur auf dem Eurovelo 9, sondern auch auf gleich mehreren polnischen Radrouten. Aber das war erst die erste negative Überraschung. Zwischen Gruszczyn und Katarzynki geriet der Weg zu einer hoppeligen Angelegenheit, die aus einer Serie von Pfützenlöchern mit lehmigem Untergrund bestand.

Das wurde nicht besser, sondern immer schlimmer.

‘Das kann ja heiter werden’ dachte ich, ‘aber es sind ja nur gut 60 km und ich habe ein Hotelzimmer vor gebucht‘. Kurz vor Biskupice landete ich wieder auf einer guten Straße und kehrte in eine Bäckerei ein. Bald ignorierte ich die zweifelhafte Radrouten-Qualität, wich von meiner Planung ab und fuhr auf der Fernstraße 194 weiter.



Übrigens hatte ich die ganze Zeit fabelhaften Rückenwind. Kurz vor Gniezno/Gnesen kreuzte die Fernstraße mit einem monumentalen Brückenbauwerk die Autobahn 5 und sofort war Radfahren verboten. Ich konnte aus meiner Perspektive nicht überschauen, wohin das Ganze führt und ob ich es ignoriere und einfach weiterfahre. Aber im Ausland halte ich mich lieber an Vorschriften Und schon nahm ich die falsche Umfahrung nach links, die ca. 2,5 km super geteert an der Autobahn entlang führte, um dann nicht an einer Unterführung unter der Autobahn, sondern im Nichts zu enden. Was für eine Bauplanung!

Also wieder gegen den heftigen Wind zurück. Ich hätte mal richtig gucken sollen, dann hätte ich auch gesehen, dass es eine um das Brückenbauwerk herum führende kleinere Straße rechts(!) abzweigend gab – aber ich wollte ja unbedingt auf der 194 fahren, sonst hätte mich mein Navi gleich richtig geführt. Und so kam ich etwas umständlicher in Gniezno/Gnesen und in meinem vor gebuchten günstigen Hotel an. Da es noch früh genug am Nachmittag war, machte ich mich zu einer Besichtigung der historischen Altstadt auf. Gniezno/Gnesen war lange Zeit das kulturelle Zentrum Polens, das mit dieser Stadt die Anfänge seines Staatswesens verbindet. Es gehörte ab 1793 zu Preußen, unterbrochen durch den napoleonischen Feldzug, war es ab 1815 bis 1920 wieder ins Deutsche Reich integriert und kam dann durch den Versailler Vertrag bis zum 2. Weltkrieg zu Polen um nach Befreiung vom Hitler Regime wieder in die Volksrepublik Polen eingegliedert zu werden. Ich machte eine längere Stadtwanderung, die mich zur sehenswerten Kathedrale und dann weiter von Kirche zu Kirche führte.












07.08.25
Als ich im Hotelfoyer mein Fahrrad bepackte, schlug plötzlich der Lenker um, das Rad kam aus dem Gleichgewicht und fiel samt Gepäck über den hinteren Seitenständer. Knacks – das war zu viel. In zwei saubere Teile zerbrochen lag er unreparierbar da. Was jetzt? Ohne Ständer weiterfahren? Das macht Anhalten und Abstellen viel zu schwierig. Ich musste eine Lösung finden. Also suchte ich nach Fahrradwerkstätten. Die erste, am frühesten geöffnete, erwies sich als nicht mehr existierend. Die nächste hatte zwar Ständer zur Auswahl, nur eben nicht den gleichen. Stattdessen ein anderes Modell, das ich erst mal nahm, in der Hoffnung, dass es ein ausreichender Ersatz sein könnte.

Weiter ging es Richtung Osten. Zunächst einsame gut befahrbare Nebenstraßen entlang, bis das Vergnügen nach wenigen Kilometern wieder in Matsch und sandigen Seitenrändern endete. ‘Steht mir das jetzt weitere 500 km bevor?’, fragte ich mich.








Zum Glück besserte es sich bald und ich konnte wieder über halbwegs gute, geteerte Straßen fahren. Einsames, ländliches Polen, einstmals letzter Zipfel reichsdeutschen Pommerns, landschaftlich ziemlich belanglos wie die Uckermark. Und dann kam an der linken Straßenseite ein richtiger Radweg! Das witzige war, dass das Radwegschild an jeder Bushaltestelle endete, um 20 m weiter den Radweg neu beginnen zu lassen.
Meine 2. Etappe endete wie geplant auf einem Campingplatz am Goplosee. Ein riesiger Platz mit nur wenigen Campern, einer Anlegestelle für Bootstouristen und einer Bar, die gleichzeitig als Rezeption diente. 70 Złoty kostete mich die Nacht – circa 19 €. Das war dann allerdings der teuerste Platz in Polen für mich. Später waren es höchstens 40 Zł. Hinter einer gemauerten Kochstelle gab es eine Art Tisch, der mir als Lebensmittelablage diente.




08.08.25
Morgens nutzte ich die Gelegenheit zum Schwimmen und kaum kam ich aus dem Wasser, tröpfelte ein Regenschauer auf mich herab, sodass mein trocken gebliebenes Zelt erst mal wieder nass wurde. Ich war sauer, aber zum Glück kam schnell die Sonne wieder hervor. Heute sollte es eine lange Etappe über 90 km werden, aber ich hatte mein Einstiegstraining ja schon hinter mich gebracht,
Nach einigen Kilometern tauchten für mich überraschend riesige Abraumhalden auf – der Braunkohlentagebau Tomislawice, der gerade, wie ich später recherchiert habe, gerade seine letzte Saison erlebte. Dass es hier sowas geben würde, war mir bislang unbekannt. Hinter dem Örtchen Orle fuhr ich an einer traditionellen Holzkirche vorbei. Leider war sie wie alle Dorfkirchen geschlossen, was mich in diesem sehr katholischen Land wunderte. Geöffnet werden sie nur zu Messen und anderen Veranstaltungen, aber nicht als Ort individueller Einkehr. Einen Glockenturm kann das hölzerne Bauwerk nicht tragen, deshalb gibt es ein gemauertes Gestell mit Läutewerk neben der Kirche.


Bald fuhr ich auf einem gekennzeichneten, abgetrennten Radstreifen, vorbildlich wie in Berlin! Leider erwies sich ein mit Werbung einladender Würstchenstand als ungeeignet, da die Besitzerin keine Sitzgelegenheiten zur Verfügung stellte, beschloss ich, das Angebot zu ignorieren und fuhr weiter. Da ich kaum Bargeld hatte – die einzigen 100 Zł hatte ich beim letzten Camping fast verbraucht, fand ich einen Geldautomaten in Lubraniec und “tankte” nach. In Polen, wie später auch in Litauen, ist bargeldloses Bezahlen fast überall Standard. Fast, denn kleinere private Anbieter bieten eben keine Kartenzahlung an. Für meine eigene Buchhaltung ist es letzten Endes übersichtlicher, wenn ich am Monatsende eine einzige Gesamtabrechnung von der Bank für meine Mastercard bekomme. Am Bankgebäude nutzte ich die Stufen, um mich zu setzen und endlich etwas von meinen Vorräten zu essen.


Weiter ging es auf hervorragenden Radwegen. Aber nicht mehr lange! Ich bog bald auf eine zunächst noch gepflegte Nebenstraße an, die bald in einen nahezu unbefahrbaren sandigen Waldweg mündete, in dem ich immer wieder mit meinen zu schmalen Marathon Mondial – Reifen einsank und Mühe hatte, nicht zu stürzen. Fluchen half da nichts, höchstens über den Trottel, der den Weg als Radroute gekennzeichnet hatte. Ein paar festgefahrene Autospuren verhinderten nicht, dass ich mehr als 6 km bei schwindendem Tageslicht bis kurz vor Biale schieben musste, denn der dortige Campingplatz war mein Ziel.

Der war nun randvoll mit Wochenend- und Feriencampern, die laut bis in die Nacht feierten…. Was für eine Erholung durch diese Nacht! Wenigstens konnte ich am Morgen wieder im See schwimmen
09.08.25
Heute wollte ich nur 40 km bis Płock fahren, dort eine Kirche besichtigen und endlich eine neue Gaskartusche bei Decathlon kaufen, denn ich hatte zwar noch Gas, aber es war schwer zu schätzen, wie weit ich damit reichen würde. Ich hatte ein Hotelzimmer vor gebucht, da ich keinen Campingplatz in Stadtnähe fand. Also konnte ich mir Zeit lassen. Sandige Katastrophenwege waren heute zum Glück ausgeschlossen. Besser, ich schloss sie aus, als ich meiner ursprünglichen Planung folgend feststellen musste, dass ich einen bestimmten geplanten Weg besser nicht weiter fahre. So wurden es zwar ein paar Kilometer mehr, aber ich hatte ja Zeit. Ich probierte vor Płock in der Nähe des Gorskie Sees ein kleines Restaurant aus und bestellte mir Dorsch an der Theke, auf den ich dann ewig warten musste und der sich so trocken und zäh herausstellte, so dass ich die Hälfte davon am Ende zurückgehen ließ.
Bei Płock überquerte ich die Weichsel, den größten polnischen Fluss, von der Breite etwa mit dem Rhein vergleichbar. Płock ist als mittelgroße Stadt mit ca. 110.000 Einwohnern die wichtigste Stadt der Provinz Masowien und bietet einige interessante historische Sehenswürdigkeiten, die ich mir am Spätnachmittag anschaute. Doch zunächst fuhr ich zu meinem Hotel, um meine Sachen abzuladen.
Dort angekommen, musste ich feststellen, dass niemand öffnete. Ich klingelte und nichts passierte. Es gab eine Nummerncode Schaltfläche, aber ich hatte keinen Code erhalten. Ein Schild wies auf Polnisch vermutlich darauf hin, dass man bei einer bestimmten Nummer anrufen sollte. Das versuchte ich. Erst nahm niemand ab, dann rief jemand auf Polnisch zurück. Ich reagierte auf Englisch und erklärte, dass ich ein Zimmer gebucht habe und vor dem Hotel auf einer Bank sitzend warte, dass jemand Verantwortliches erschien. Unsicher ob ich verstanden wurde, wartete ich weiter und schließlich kam ein junger Pole, ebenfalls ein Gast, der zum Glück gut Englisch sprach und für mich dort noch einmal anrief. Ja, sie hätten ja gesagt, dass sie unterwegs seien und würden in 10 Minuten hier sein.
Dann endlich erschienen zwei Damen, mit denen ich notdürftig Englisch sprechen konnte und zeigten mir mein Zimmer. Mein Rad konnte ich im Hotelflur parken. Es war erst 16 Uhr und ich legte mich erstmal etwas hin und plante, wie es weitergehen würde. Decathlon hat bis 20 Uhr geöffnet, in die Innenstadt waren es etwa 6 km, also erst eine Besichtigung ohne Gepäck nur mit Lenkertasche und Tagesrucksack. Hier einige Aufnahmen.












Interessant war auch die lange, fast leere Fußgängerzone in der ulica Tumska mit nur wenigen Geschäften, dafür aber Banken, Cafés und Restaurants.
Auf zum Decathlon. Dort angekommen, suchte ich vergeblich nach Gaskartuschen. Schließlich fand ich eine Bedienung, die meinte, dass sie gerade keine hätten. Auf meinen Einwand, dass sie auf der Webseite doch als vorhanden ausgewiesen seien, meinte sie, “ja für Online-Bestellungen”. Wo es sonst welche gäbe? Ich sollte es mal bei Auchan versuchen. Auchan befindet sich in der Nähe und hat die Größe eines Walmarts mit fast 20.000 m². Also eine zeitraubende Aufgabe, in diesem Riesending das Richtige zu finden. Die Kunden sollten eben in ihrer Verzweiflung wenigstens irgendetwas kaufen, dachte ich bei meiner Wanderung. Ich fand dann schließlich die richtige Abteilung und hätte dort allerlei Campingkram kaufen können, nur eben keine Gaskartuschen. Ich sollte mal bei OBI fragen, gab man mir den Tipp. Auch Obi war gleich nebenan. Ich dachte zwar skeptisch, in Deutschland habe ich bisher sowas nicht bei Obi gesehen, aber hier hatte ich endlich Glück! Ich hatte sogar die Auswahl zwischen mehreren Kartuschen! Jetzt konnte ich nach mindestens anderthalb Stunden Suche zurück ins Hotel fahren…Das reichte mir dann für diesen Tag.
Mehr als Abendessen und einen Film sehen war nicht mehr drin.
Am 10.08.25 hatte ich wieder einen Rückenwind Tag. Mit 25 km/ von hinten wurde ich durch die leicht wellige Landschaft geschoben. Aber erst einmal nach dem Start am Morgen musste ich einen Horrorweg mit ausgewaschenen Regenrinnen steil bergab schiebend absolvieren, der dann unter einer Autobahnbrücke mit witzigen künstlerischen Graffiti in eine richtige gut geteerte Straße parallel zur Weichsel mündete.





Das Wetter war herrlich, die Landschaft mäßig interessant, die Wegequalität hervorragend. Bei Borkowo wollte ich an der Wrkra zelten. Dort angekommen, stellte sich heraus, dass der Platz, den ich ins Auge gefasst hatte, mehr ein lärmiges Kinderferienlager war, wo alle laut im Fluss planschten. Das war jetzt das Letzte, was ich für mich akzeptieren wollte. Nur 8 km südlich zeigte Google Maps ein Campingplatz-Symbol – also nichts wie hin. Wieder ein Platz mit Bar und Speiseangebot. Die Sanitäranlage wirkte etwas rustikal. Ich war der einzige Campinggast!
Nur wenige Leute saßen an den Tischen vor der Bar. Kaum hatte ich wegen eines aufziehenden Gewitters in Windeseile mein Zelt aufgebaut, krachte und stürmte es, Äste brachen von halb verwilderten Obstbäumen um mich herum herunter, ich fürchtete um mein Zeltgestänge und nach vielleicht 15 Tropfen Regen war wieder Schluss. Das Zelt hielt all dem tapfer stand. Ich beschloss, an der Bar zu Abend zu essen. Von polnischer Schlagermusik beschallt, bestellte ich mir ein Schnitzel und ein Bier.



11.08.25
Ich wollte morgens nicht zu hundert Prozent die gleiche Tour zurück zu meiner Route bei Borkowo machen wie am Vorabend und bog dann auf eine Hängebrücke über die Wrka ab. Von dort aus überließ ich mein Routing der Navigationsempfehlung meines Garmin Navis. Schlechte Wahl, denn nach wenigen Kilometern endete die Straße an einem steilen Pfad, an dem ich nur mit Mühe mein beladenes Rad hochschieben konnte. Oben war zwar wieder alles gut, aber jetzt machte ich ungewollt oder fehleingeschätzt einen großen Umweg über Nasielsk.
Dort gab es aber einen gut sortierten Supermarkt, in dem ich meine Lebensmittelvorräte auffrischen konnte. Ansonsten bot mir das Städtchen nichts Beeindruckendes, außer riesigen patriotischen Fassadenmalereien, die an die Schlacht bei Nasielsk im Rahmen des polnisch-sowjetischen Kriegs 1920 erinnerten, die die Polen gewannen. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich mit Nasielsk ein falsches Navigationsziel gewählt und zu weit nach Norden geraten war.



Selten habe ich mich so gründlich verfahren… Aber die paar Dörfer, die ich dadurch nicht gesehen habe, wären mir kaum im Gedächtnis geblieben. Also los, ein Fingertipp auf meinen Navi mit der geplanten Strecke – auf geht’s Richtung Südosten nach Serock. Denn hinter Serock gab es eine große Brücke über den Narew. Den Narew würde ich noch öfter zu überqueren haben. 1984 bin ich auf diesem Fluss mit meiner damaligen Freundin von der Einmündung der Biebrza bis kurz vor Warschau gepaddelt. Er wälzt sich träge mäandrierend durch das polnische Flachland und ist ein Paradies für Wasservögel. Die Überführung gehört zur Fernstraße 62, ein verkehrsreicher welliger Hauptverkehrsstrang, dem ich für 12 km folgen musste.


Natürlich nutzte ich die Möglichkeit, an der Tankstelle Kaffee zu trinken, aber dann bog ich links nach Norden über kleine Landstraßen ab, denn ich hatte ein Ziel, Sieczychi, wo ich mangels Campingplätzen irgendwie wild zelten wollte, aber besten hinter dem Ort, wo ein Rastplatz für Radreisende sein sollte. Zum Glück habe ich mich nicht auf diesen völlig verwilderten und versandeten Müllplatz eingelassen. Auf dem Weg dorthin kam ich an einem deutsch-russischen Kriegsfriedhof aus dem 1.Weltkrieg vorbei, der immer noch etwas gepflegt wird. So etwas fasziniert mich immer.







Als ich dann nach 82 km nach Sieczychi kam – ein sehr langes Straßendorf-, erinnerten ich mich daran, dass ich mir Trinkwasser für die Nacht im “Sklep” (dem Dorfladen, viele polnischen Dörfer haben so etwas) kaufen wollte und kam mit dem Ladenbesitzer etwas ins Gespräch. Ich fragte ihn, wo man hier einfach so zelten kann und er verwies erst auf den Wald, der auf einem steilen Hügel südlich vom Ort liegt. Das gefiel mir gar nicht. Stattdessen frage ich ihn, ob ich nicht auf dem Rasen hinter seinem Laden zelten könnte (hatte ich vorsorglich erkundet). Er zögerte einen Moment, aber dann sagte er zu. Am nächsten Morgen würde seine Tochter ab 6 Uhr den Laden öffnen. Dann könnte ich auch die Toilette benutzen und mich notdürftig waschen. Das reichte mir. Essen kochte ich mir auf der Stufe hinter dem Laden sitzend. Dabei hätte ich fast eine meiner Trinkflaschen verschmort, die dem Kocher etwas zu nahe stand…
Vorbeigehende Nachbarn wunderten sich, erwiderten aber mein “Dobry wieczor!” (Guten Abend – ein bisschen Polnisch habe ich früher mal gelernt). Und so hatte ich eine ruhige Nacht mitten im Dorf umsonst zeltend.

12.08.25
Morgens nutzte ich die dürftige Sanitärmöglichkeit des Ladens und besorgte mir noch Milch und Kleinigkeiten für unterwegs. Ich kam am Dorfende am sogenannten Rastplatz vorbei und war froh, dass ich diesen nicht genutzt habe. Mehr ein Parkplatz für die Dorfjugend mit Haufen leerer Flaschen. Jede andere Lichtung im Wald wäre besser gewesen… Weiter ging es vorbei an den üblichen Devotionalien durch eine sehr hügelige Bilderbuchlandschaft.



Mein Pannendrama kam dann später, aber erst erreichte ich die “Perle der Masowschen Gotik”, eine leider wegen Bauarbeiten geschlossene spätgotische Kirche in Kleczkowo.


Als ich weiter fuhr, nervte mich schließlich ein schleifendes Geräusch. Ich hielt im Schatten eines Gebäudes und fand heraus, dass die hintere rechte Seitentasche nicht den richtigen Abstand zur Strebe des Gepäckträgers hatte, was dazu führte, dass dieser immer wieder das Schutzblech gegen den Reifen drückte. Mit ein paar Unterlegscheiben löste ich das Problem. Als ich weiterfahren wollte, sprang erst einmal vorn die Kette ab. Rrrrrrr! Schnell zu richten, aber dann stellte sich heraus, dass sich die gesamte Kettenschaltung nicht mehr im Lot befand. Bei dieser Gelegenheit kippte mir das Rad wieder über den viel zu schwachen Ersatz-Ständer aus Gniezno, und knacks, das war es dann mit Ständer Nummer zwei. Inzwischen stand ich nicht mehr im Schatten, sondern in der prallen Sonnenhitze. Ich schob rüber in den Schatten eines Baumes, aber mir fiel keine Lösung ein, egal was ich versuchte. Eine seltene Situation für mich nach über 50.000 km Radreisen…! Im Ergebnis konnte ich nur noch mit dem aller leichtesten Gang fahren, d.h. maximal mit 12 km/h. Ich googelte nach dem nächsten Fahrradladen und fand einen in Łomża, der angeblich bis 20 Uhr geöffnet hatte. Das müsste ich schaffen, dachte ich, es waren noch 17 km. Zwischendurch fiel es der Gangschaltung, warum auch immer, ein, wieder normal zu funktionieren, aber ich brauchte ja auch wieder einen neuen Ständer. Als ich den Laden erreichte, hatte dieser seine Öffnungszeiten auf “bis 18 Uhr” reduziert! Na schön, was nun? Einen anderen, der noch geöffnet hatte, gab es nicht. Ich fuhr frustriert zum Campingplatz am Narew-Ufer und wie zum Spaß ging es erstmal steil hoch und dann wieder steil bergab, bis ich die Rezeption mit einem schlecht gelaunten Mitarbeiter fand. Fast leerer Platz mit einem komplizierten Tor. Aber dann fand ich eine gute Stelle zum Zelten, direkt neben einer überdachten Sitzgelegenheit störten nur noch bis nach 23 Uhr laut feiernde Nachbarn. Wieder einmal…
13.08.25
Nachdem ich morgens das Fahrrad auf den Kopf stellte, aber auch keine wirklichen Verbesserungen bewirken konnte, navigierte ich zu einem näher gelegenen Fahrradladen. Der freundliche Mann half sofort und bot mir erst den gleichen Ständer wie den zuletzt abgebrochenen an, und zur Sicherheit einen Zweibeinständer, den er noch auf die richtige Höhe kürzte. Ich wies ihn noch auf ein Problem mit immer wieder schleifenden Felgenbremsen hin, wozu ihm nichts einfiel, aber das konnte ich dann selbst abends lösen. Am Markt wurde ich Zeuge einer imposanten Militärparade zum Tag der Streitkräfte.




Jetzt musste ich aber langsam los und fuhr der Einfachheit halber auf der Fernstraße 64 und überlegte, wie weit ich es wohl schaffen würde. Ich würde später auf den sogenannten Zarenweg im Nationalpark Biebrza abbiegen. Der Name erinnert an die russische Besetzung Polens. Die 64 war zwar weniger stark befahren als zwei Tage zuvor die Fernstraße 62, dafür aber extrem langweilig. Schließlich bog ich in den Zarenweg ein und entdeckte nach erneuter Überquerung des Narew in Laskowiec an einem Haus eine Werbung “Stanica pod Bocianem” mit einem Campingzeichen! Nicht als Camping gelistet bei Google Maps! Ich klingelte und eine freundliche ältere Dame begleitete mich zum Nachbargrundstück mit einer Wiese, auf dem ein imposantes Pferdepaar aus Plastik imponierte.
Es gab eine überdachte Sitzgelegenheit mit Sofas und Stühlen für Regentage. Ich baute mein Zelt auf und nahm mir vor, mein Fahrrad gründlich und in Ruhe zu inspizieren. Nach kurzer Zeit hatte ich den entscheidenden Fehler endlich gefunden! Das Hinterrad ist an einem Adapter im Rahmen befestigt, und am gleichen Adapter war auch der erste, abgebrochene Ständer befestigt. Nach Entfernen dieses Restes hatte ich oder der Fahrradmechaniker am 07.08. in Gnesen die Bolzen nicht fest genug wieder angezogen. Das führte dazu, dass sich das Hinterrad in eine geringfügige, kaum sichtbare Schieflage bewegte und sich auch die Bolzen auf der anderen Seite lockerten. Deswegen schleifte die Felgenbremse und ließ sich nicht korrigieren und darum gab es auch Ärger mit der Gangschaltung! Einmal richtig festgezogen, und sämtliche Probleme waren fortan gelöst!



14.08.25 Jetzt ging es auf dem schnurgeraden, wenig befahrenen Zarenweg weiter, den mal der Zar durch den Sumpf hat bauen lassen, um vermutlich die okkupierten polnischen Gebiete besser sichern zu können. Er führt wie schon erwähnt durch den Nationalpark Biebrzanski Park Narodowy [Bilder], ist eine auch für Autos geschwindigkeitsbegrenzt freigegebene Radroute mit ausgezeichnetem Belag und wenig Verkehr. Dichter sumpfiger Wald auf beiden Seite, dann mal eine größere Lücke mit freier Sicht über eine offene Sumpflandschaft. Und immer wieder dramatische Warnungen vor Elchen, von denen ich keinen einzigen sah…









(Üblicherweise verstecken sich Elche vor mir, – nur einmal sah ich eine sofort weg huschende Elchkuh vor Jahren in Schweden. Der einzige weitere Elch, den ich je sah, lag verletzt in einem Straßengraben in Kanada, aber das ist eine andere Geschichte.)
In Goniądz fand ich einen Laden mit dem interessanten Namen “Leviatan” (einem mythologischen Seeungeheuer), einer Kette für kleinere Lebensmittelläden, und versorgte mich. Nachdem meine Route immer hoppeliger wurde, wich ich so lange wie möglich auf die Chaussee 670 aus, bis ich links abbiegen musste. Denn sonst hätte ich mir mehr als 20 km Umweg eingehandelt.
(Zwischenbemerkung: Im Gegensatz zu den “Fahrradnomaden”, die zum Teil um die Welt radeln und zeitlich eine große Freiheit haben, haben Radreisende wie ich einen Plan, wann sie ungefähr an bestimmten Orten ankommen sollten, damit sie zu einem bestimmten Datum wieder zuhause ankommen können. Deswegen versuche ich Umwege zu vermeiden, wenn sie nicht besonders verlockend sind.)
Einen entgegenkommenden Engländer, der vom Nordkap kommend mit seinem Rad nach Frankreich unterwegs war, fragte ich, wie der Zustand der Strecke sein würde und er fluchte nur über Schotter und Sand, so etwas wie in Polen hätte er noch nirgends erlebt. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Schnell noch einen Kaffee trinken, die Biebrza überqueren,

dann ging der Horrorweg los. Ein breiter geschotterter Weg mit gelockerten Rändern, die ein seitliches Ausweichen unmöglich machten und zum “Vergnügen” immer wieder Autos, die mich in Staubwolken hüllten.



Ich befürchtete 35 km, aber zum Glück waren es dann nur 15, bis wieder eine ordentliche Straße anfing. Ich hoffte sehr, mal in die parallel verlaufende klare Biebrza springen zu können, aber an allen dafür geeigneten Stellen saßen Angler. Im Dörfchen Kopiec tauchte plötzlich ein Gehöft mit einem bunt gemalten Schild auf, das ein Fahrrad, Zelt, Dusche, WC und eine Steckdose zeigte und bremste scharf. Genau das brauchte ich jetzt! Ich erkundete den Platz, betrat ein Gebäude mit offen stehender Tür, fand ein Bad mit Dusche und Toilette, rief laut, aber niemand meldete sich. Erst als ich beim Zeltaufbau war, kam eine Frau, die mich begrüßte und ihren Mann rief. Alles war okay und wir einigten uns auf 40 Złoty, wie inzwischen üblich. Ich verzichtete ausnahmsweise als einziger Gast am Platz auf mein Überzelt und wusch noch meine verstaubte Kleidung.






15.08.25
Mittags erreichte ich das überfüllte Augustów, ein Touristen-Highlight im polnischen Osten. Nach einem Mittagessen in einer Gaststätte ging es zunächst auf einem 5-Sterne-Radweg weiter, aber das sollte sich bald ändern. Und ich hatte so gehofft, dass es in dieser touristischen Gegend auf einem Eurovelo so weitergehen würde.

Doch dann musste ich nach links abbiegen und landete auf den üblichen schrecklichen Schotter-,Lehm -Wegen mit Schlaglöchern und sandigen Rändern. Nur diesmal mit regem Autoverkehr. “Noch ist Polen nicht verloren”, summte ich gemäß der ersten Zeile der Nationalhymne.. Wenigstens ging ich nochmal schwimmen. Ich navigierte mich so schnell wie möglich auf die nächstbeste Straße und änderte mein Tagesziel zum Campingplatz Kukle, wenige Kilometer vor der litauischen Grenze.
Das war keine gute Wahl. Denn dieser Platz war extra für Party feiernde Gruppen eingerichtet und so geschah es auch. Bis nach 2 Uhr nachts versuchte ich trotz einer lauten Gesprächsrunde, nur durch ein Gebüsch von meinem Zelt getrennt einzuschlafen. Mehrere Bitten um Ruhe wurden freundlich ignoriert. Irgendwann war dann mal Schluss…










Resümee polnischer Campingerfahrung: Entweder sind sie leer oder sie dienen in den Ferien oder am Wochenende als Partygelegenheit. Und niemanden scheint das zu stören.
16.08.25
Um 10.30 Uhr erreichte ich über einen halbwegs gut befahrbaren Waldweg die litauische Grenze nach 689 Kilometern in Polen. Es gab einen mobilen Grenzposten, an dem 2 weibliche Polizistinnen gerade einen PKW kontrollierten, aber die winkten mich einfach durch.



LITAUEN

Die Uhr meines Navis hatte sich sofort um 1 Stunde zur osteuropäischen Zeit vorgestellt und so tat ich es auch mit meiner Armbanduhr und auch mit der in meiner Kamera, damit die Bilder richtig in komoot an der Strecke später platziert werden. (Leider musste ich dann später zuhause feststellen, dass ab dort alle Bilder um ca. 11 km verschoben wurden und ich musste sie dann manuell verschieben oder löschen, wenn ich sie nicht mehr genau zuordnen konnte.)







Jedenfalls wurde aus dem Waldweg auf polnischer Seite jetzt eine neue und frisch geteerte, aber völlig leere Landstraße, die aber nach anderthalb Kilometern zu einer ewig langen Baustelle wurde, an der ich aber immerhin gut entlangfahren konnte. Aber auch Kopfsteinpflaster blieb mir nicht erspart. In Kapčiamiestis konnte ich wieder für Euro im dörflichen Supermarkt einkaufen und erkannte sofort, dass die Preise eher denen in Deutschland ähneln als den wesentlich günstigeren in Polen. Hier wurde mir wieder bewusst, wie fremd mir litauisch ist. Kein einziges Wort, das mich an irgendetwas aus einer slawischen, romanischen oder indogermanischen Sprache erinnert. Zum Glück verstehen die meisten Menschen wenigstens etwas Englisch. Nach einer Mittagspause am Marktplatz ging es weiter bis Leipalingis, wo ich plante eventuell an einem kleinen See zu zelten, aber mir war nicht nach wild zelten am Ortsrand, ohne dass ich das Wasser im See wegen des Schilfgürtels erreichen konnte. Einen Campingplatz ortete ich abseits meiner Route 17 km südlich und machte mich auf den Weg. Ich kam an einer wunderschönen spätklassizistischen Kirche vorbei, die ich aber wegen einer gerade stattfindenden Messe nur von de Tür aus innen anschaute. Dann geriet ich aber auf eine so irre Schotterstrecke, so dass ich nach wenigen Kilometern aufgab und kehrt machte. Die ideale Strecke für Gravel-Fans, zu denen ich mit meiner Ausstattung nicht gehöre. Da in Litauen Zelten überall erlaubt ist, wo es nicht ausdrücklich verboten ist, wollte ich eine andere Lösung suchen.






Zurück auf meine Route. Ich hielt Ausschau, ob ich bei irgendeinem Gehöft fragen wollte und sprach einen Mann an, der gerade seinen Sohn davon abhalten wollte, mit seinem Kinderfahrrad auf die Hauptstraße zu fahren und fragte, ob er einen Platz hätte, wo ich für eine Nacht zelten könnte. Das verneinte er zwar, zeigte mir aber auf Google Maps einen Platz, wo es seiner Meinung nach ginge. Ich setzte mir das als Navigationsziel und bog nach weiteren 5 km von der Hauptstraße in den Wald ab. Ich dachte, ich käme an ein “wildes” Seeufer. Aber nein, es war ein Privatgelände mit mehreren größeren Ferienhäuser, Zutritt verboten. Ich nahm den Hinweis erst mal nicht so ernst und fragte eine Frau, ob ich hier eventuell für eine Nacht zelten könne. Sie meinte, sie sei hier auch nur Mieterin und könne das nicht allein entscheiden. Nun gut, dachte ich, dann frage ich mal an einem anderen Haus und erwirkte, dass ich weiter oben hinter dem Volleyballplatz zelten könnte, eine Trockentoilette gäbe es auch. Jetzt fehlt nur noch Trinkwasser, dachte ich, und schon kam sie zu meinem Zelt mit einem 5 Liter-Kanister voller Wasser. Ich bedankte mich erfreut. Dann setzte ich mich auf die steinerne Kante des Volleyballplatzes um mein Abendessen zuzubereiten und schon kam eine andere Frau aus einem anderen Haus und lud mich zu einem Bier ein, wenn ich fertig mit essen wäre. So saßen wir dann auf der Veranda eines der Häuser später zu sechst, während ich meine Powerbank aufladen konnte. Ich wurde ausgiebig (auf Englisch) über meine Reise ausgefragt, bis irgendwann ein Teil der Gruppe für Yoga in den nahen Wald ging. Dann fing es an zu tröpfeln und ich zog mich in mein Zelt zurück.





17.08.2025
Morgens nutzte ich die Gelegenheit, im nahen glasklaren Wasser des Aviris-Sees zu schwimmen. Die freundlichen Nachbarn taten das Gleiche und man bot mir die Möglichkeit, die ebenerdige Küche des Hauses für mein Frühstück zu nutzen, Kaffee könnte ich mir nehmen…
Das ließ ich mir natürlich nicht nehmen. Von den 5 Litern Wasser hatte ich so gut wie gar nichts genutzt und brachte den Kanister dankend zurück, nachdem ich meine Trinkflaschen aufgefüllt hatte.
Um zu verhindern, dass ich wieder auf einer Schotterstraße lande, folgte ich jetzt weiter der 133 bis Merkines, der nächsten nennenswerten Stadt mit einer Überführung über die Memel.
Hier, an der Einmündung des Merkys/Meretsch befand sich einst eine Hügelfestung, die man aber nur als virtuelle Rekonstruktion sehen kann. Nach einem steilen Anstieg kam ich in die Altstadt und an einem imposanten Backsteingebäude vorbei. Ich stieg ab und schaute mir eine Erklärungstafel an, die selbstkritisch mit der Beteiligung der Litauer im vorauseilenden Gehorsam gegenüber Nazideutschland bei der Judenverfolgung informierte.
Denn es handelte sich um die ehemalige jüdische Schule. Das war mir weitgehend neu.











Ich kaufte noch ein und aß in einem Restaurant zu Mittag. Bei dieser Gelegenheit rief ich einen deutschen „Warmshowers“-Gastgeber an, der interessanterweise in einem Baumhaus wohnt, ob er mich in der nächsten Nacht beherbergen könnte. Leider war er selbst unterwegs, schickte mir aber den Link für Google Maps, wo ich einen wunderschönen Zeltplatz an einem Fluss finden könnte. Ich folgte dann dieser Route und nahm in kauf, dass die 133 jetzt zur A4 wurde, keine Autobahn, aber eine schnurgerade Hauptverkehrsader mit entsprechend starkem Verkehr, aber für mich jetzt ohne Alternative. In Perloja bog ich ab, in dem Ort einen Kaffee trinken zu können und machte aber stattdessen ein andere interessante Entdeckung. Perloja war in der Zeit zwischen 1918 und 1923 eine eigene Republik mit eigenem Präsidenten, eigener Verfassung, einer Armee mit 80 Soldaten, Währung, Siegel, Polizei und sogar einem Gefängnis, bis es sich 1923 dem litauischen Staat anschloss. (https://meduza.io/en/feature/2025/03/07/dispatch-from-perloja) Die Franziskus-Kirche war leider geschlossen. Auf dem Platz davor steht eine große Statue, die Vytautas den Großen darstellen soll, dem Großfürsten, der Ende des 14.Jahrhunderts die polnisch-litauische Union gegen den Deutschen Orden gründete. Vytautas und Gediminas gelten bis heute als Begründer litauischer Nationalität, denn einen Staat Litauen gab es ja erst ab 1920 infolge des Versailler Vertrages wieder. Entsprechend wird das vielerorts gewürdigt.



Ich folgte der A4 weiter, bis zur Abzweigung der besagten Zeltstelle. Jetzt ging es zunächst noch halbwegs ordentlich voran, dann aber, nach einer weiteren Abzweigung, auf einem kaum noch sinnvoll befahrbaren hügeligen Waldweg mit sandigen Stellen und tiefen Pfützenlöchern entlang. Mehrmals rutschte ich weg, einmal fiel ich auch hin und musste meine vordere Packtasche wieder neu anbringen, die Hose voll Sand. Endlich kam ich zu einer riesigen frisch gemähten Wiese. Kein Zeichen einer Rezeption, aber ein überdachter Unterstand mit großem Tisch und Bänken, neben dem ich mein Zelt aufschlug. Direkt am Fluss Merkys. Vermutlich ein Rastplatz für Bootswanderer, aber völlig leer. Leider war kein Trinkwasser erreichbar und die Oberfläche des Flusses war wegen des steilen Ufers zu unerreichbar, um etwas zum Filtern heraus zu angeln. Aber die anderthalb Liter, die ich noch in meinen Flaschen hatte, reichten gerade noch bis zur Abfahrt am nächsten Tag. Eine stille Nacht, nur der Fluss rauschte und gurgelte leise…

18.08.2025
Ich nahm eine andere Wegvariante zur A4 zurück, nachdem ich überzeugt war, dass alle anderen Möglichkeiten nicht besser sein würden. Dieses war die “Straße” von der nahe der Wiese liegenden Ortschaft Kukiškės. Weit gefehlt! Ein Weg voller lockerem Sand und das, obwohl dort auch Autoverkehr war. Zeitweilig blieb nichts übrig, als zu schieben.


Wieder auf der A4 angekommen, begnügte ich mich mit dem schmalen Seitenstreifen. Plötzlich fiel mir auf, dass ich mein kleines Smartphone vermisse, das ich eigentlich nur zum Telefonieren benutze. Ich hielt an und suchte gründlich. Nichts. Wo hatte ich es zuletzt? Als ich den Warmshowers-Host anrief. Als ich dann nach dem Essen weiterfuhr, schaltete ich es ab, um Energie zu sparen. Hatte ich es an der Zeltwiese? Wozu? Ich wollte nicht telefonieren und Strom zum Nachladen gab es da nicht. Es muss beim Sturz auf dem vermaledeiten Waldweg aus der Lenkertasche katapultiert worden sein! Das war gestern und vor etwa 30 km. Was mache ich jetzt? Zurückfahren und suchen, ohne genau zu wissen wo? Ich nahm mir vor, abends noch mal alle Taschen durchzusuchen. Kein besonders teures Gerät, aber ich konnte jetzt nur noch mit dem Tablet wie mit einer Ofenkachel telefonieren…
Eine Gedenkstätte an gefallene Partisanen tauchte auf mit dem Datum 1953. Wirklich? Davon hatte ich noch nie gehört. Tatsächlich gab bis in die 50er Jahre hinein Widerstand gegen die Eingliederung Litauens in die Sowjetunion! Ich recherchierte und erfuhr:
“Der bewaffnete Widerstand gegen die sowjetische Besetzung Litauens dauerte von 1944 bis etwa 1953, also fast ein Jahrzehnt.“
Dabei handelt es sich um eine der am längsten agierenden bewaffneten Widerstandsbewegungen gegen die Sowjetunion in Osteuropa.
Hintergrund:
● 1940: Litauen wurde erstmals von der Sowjetunion besetzt (im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts).
● 1941–1944: Deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs.
● 1944: Die Rote Armee besetzt Litauen erneut – Beginn der sowjetischen Reokkupation.
● Ab diesem Zeitpunkt begann der bewaffnete Partisanenwiderstand gegen die sowjetischen Behörden.
Der „Waldbrüder“-Widerstand (lit. Miško broliai):
● Der Widerstand bestand hauptsächlich aus ehemaligen Soldaten, Offizieren, Intellektuellen und Bauern.
● Die Partisanen operierten aus den Wäldern heraus – daher der Name „Waldbrüder“.
● Ihr Ziel war die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Litauens.
● Es handelte sich um gut organisierte Einheiten, oft mit Hierarchien, Propagandaabteilungen und sogar Gerichtsbarkeit.
Ende des bewaffneten Widerstands:
● Der Höhepunkt des Widerstands war zwischen 1945 und 1948.
● Ab 1949 begann der Widerstand deutlich nachzulassen – unter anderem durch gezielte Sowjetmaßnahmen wie Deportationen, Geheimdienstoperationen und Infiltration.
● 1953 gilt als das Jahr, in dem der organisierte bewaffnete Widerstand weitgehend endete – vereinzelt gab es aber noch Aktionen bis in die späten 1950er-Jahre.

Wieder etwas gelernt. Aber nur als Radfahrer oder Wanderer ist man langsam genug, um so eine Stelle zu bemerken, denn es gab weiter keinen Hinweis an der Straße.
Bald grüßte eine Tankstelle mit “sveiki atvykę” – was offenbar „herzlich Willkommen“ heißt und ich ließ mich von der Modernität der Ausstattung beeindrucken. 3 Kaffeeautomaten mit einer Auswahl von bis zu 8 verschiedenen Kaffeesorten und add on’s wie Vanillearoma und anderes, Gebäck liegt bereit, – ich kam mir vor wie in Kanada oder den USA. Und obwohl Lebensmittel in den Läden teuer sind wie in Deutschland, kostete der Kaffee meistens höchstens 2,50 €. Ein gut gemeinter Radweg entpuppte sich als Sackgasse und so musste ich 2 km zurückfahren. Endlich bog meine Route nach Vilnius von der A4 ab. Ich hielt in einer Art Vorort, in der alle, die ich hörte, Russisch sprachen. Je näher ich der Hauptstadt kam, desto heftiger wurde der Verkehr.

Leider gab es weder einen nennenswerten Seitenstreifen noch einen Radweg parallel. Zum Glück ließen die meisten Autofahrer genügend Seitenabstand. Als die Straße 4-spurig wurde, kam ich mir vor, wie auf einer Autobahn. Mühsam navigierte ich durch das Straßengewirr zum City-Camping, vorbei am Stadthaus mit auf Kopfsteinpflaster gemaltem Fahrrad-Streifen am Rathausplatz (sehr witzig!) landete ich irgendwann am Ziel.



40 € pro Nacht! Bad und Küche mit Speisesaal wie in einer Jugendherberge im Keller, voll ausgestattet. Zugang mit Zahlencode.
Ich stellte mein Zelt auf und suchte noch einmal vergeblich nach meinem Smartphone. Google ortete es da, wo ich es ausgeschaltet hatte, ca. 4 km hinter Merkiné. Ich deaktivierte alle Funktionen und richtete einen Sperrcode ein, der das gesamte System notfalls löschen würde. Dann versuchte ich vergeblich, O2 zu erreichen und die SIM-Karte sperren zu lassen. Vergeblich, immer nach dem soundsovielten Schritte meldete das System einen Datenübermittlungsfehler. Ich wiederholte das noch einige Male, aber irgendwann gab ich auf. Entweder wurde das Gerät längst von einem Trike oder Auto überrollt oder es ist erstmal egal, weil es sich selbst löscht, wenn es jemand zu entsperren versucht.
19.08.2025 Als erstes ging ich morgens Einkaufen und bestaunte das moderne Viertel in der Nähe des Campings, mit wissenschaftlichen Instituten und Häuser mit modernen Appartements, den davor parkenden Autos nach zu urteilen bewohnt von wohlhabenden Menschen. Ich bekam ordentliche Brötchen und begab mich später, nach dem Frühstück, als erstes in das nahe gelegene Užupis, eine “autonome Künstlerrepublik” mit Parlament, einer Verfassung, einer “Staatsgrenze”, einer langen Mauer, auf der diese Verfassung in, glaube ich, 24 Sprachen abgedruckt ist.


Da man das wegen der Reflexe schlecht im Bild lesen kann, zitiere ich den witzigen Text hier. Übrigens ist sogar der Dalai Lama einer der Ehrenbürger von Užupis.
Hier nun die witzige “Verfassung von Užupis”
- Jeder hat das Recht, am Fluss Vilnele zu leben, und der Fluss Vilnele hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.
- Jeder hat das Recht auf Warmwasser, Heizung im Winter und ein Ziegeldach.
- Jeder hat das Recht zu sterben, aber es ist keine Pflicht.
- Jeder hat das Recht, Fehler zu machen.
- Jeder hat das Recht, einzigartig zu sein.
- Jeder hat das Recht zu lieben.
- Jeder hat das Recht, nicht geliebt zu werden, aber nicht unbedingt.
- Jeder hat das Recht, unauffällig und unbekannt zu sein.
- Jeder hat das Recht auf Müßiggang.
- Jeder hat das Recht, die Katze zu lieben und sich um sie zu kümmern.
- Jeder hat das Recht, sich um den Hund zu kümmern, bis einer von ihnen stirbt.
- Ein Hund hat das Recht, ein Hund zu sein.
- Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Besitzer zu lieben, muss aber in Notzeiten helfen.
- Jeder hat manchmal das Recht, seine Pflichten nicht zu kennen.
- Jeder hat das Recht, Zweifel zu haben, aber das ist keine Pflicht.
- Jeder hat das Recht, glücklich zu sein.
- Jeder hat das Recht, unglücklich zu sein.
- Jeder hat das Recht zu schweigen.
- Jeder hat das Recht, Glauben zu haben.
- Niemand hat das Recht auf Gewalt.
- Jeder hat das Recht, seine Bedeutungslosigkeit zu erkennen.
- Niemand hat das Recht, Pläne für die Ewigkeit zu haben.
- Jeder hat das Recht zu verstehen.
- Jeder hat das Recht, nichts zu verstehen.
- Jeder hat das Recht, jede Nationalität anzuerkennen.
- Jeder hat das Recht, seinen Geburtstag zu feiern oder nicht zu feiern.
- Jeder soll sich an seinen Namen erinnern.
- Jeder darf teilen, was er besitzt.
- Niemand kann teilen, was er nicht besitzt.
- Jeder hat das Recht, Brüder, Schwestern und Eltern zu haben.
- Jeder darf unabhängig sein.
- Jeder ist für seine Freiheit verantwortlich.
- Jeder hat das Recht zu weinen.
- Jeder hat das Recht, missverstanden zu werden.
- Niemand hat das Recht, einem anderen die Schuld zu geben.
- Jeder hat das Recht, individuell zu sein.
- Jeder hat das Recht, keine Rechte zu haben.
- Jeder hat das Recht, keine Angst zu haben.
- Lass dich nicht unterkriegen.
- Wehre dich nicht.
- Gib nicht auf.
Ich schlenderte im Zickzack durch Užupis, machte viele Fotos, von Dingen, die ich als interessant empfand, trank eine heiße Schokolade und verließ dann bald das “Staatsgebiet” über eine andere Brücke über den Vilnele, der es vom Rest der Welt trennt. Inwieweit, wie Wikipedia meint, Užupis ein Opfer der Gentrifizierung geworden sei, kann ich nicht beurteilen, denn es gibt immer noch eine lebendige Community im Internet.
Für interessante Informationen siehehttps://www.uzupis.de/ oder http://www.uzupiorespublika.com und https://uzhupisembassy.eu/


























(Der „deutsche Botschafter in Užupis“, der auch ein Profil als Host bei http://www.warmshowers.org hat, sagte mir leider ab, da er selbst unterwegs sei – deswegen der teure Campingplatz.)
In der Tat wurde dieses “Staats-Projekt” zu einer von allen möglichen Touristikunternehmen vermarkteten Sehenswürdigkeit und somit wohl auch ein Stück weit zum Opfer seiner eigenen Originalität.
Da mein Zeitkonto von 2 Tagen für Vilnius begrenzt war, schlenderte ich weiter in die Altstadt und war zunehmend beeindruckt von der großartigen Architektur und der bis ins Mittelalter zurück reichenden Geschichte dieses Weltkulturerbes.

























Als ich später zurück zu meinem Zelt kam, hörte ich um mich herum Deutsch. Ich stellte fest, dass es sich um eine Familie deutscher Radfahrer handelte, die gerade eine Baltikum-Rundfahrt machten. 2 Söhne, 15 und 17 Jahre alt, die Eltern und die Großeltern. Ich fragte, ob ich mich dazu setzen dürfe, und wir kamen ins Gespräch miteinander. Ich fragte auch, ob die Großeltern der Ursprung dieses Hobbys wären, aber nein, es waren die Eltern, die hierbei ansteckend gewirkt hatten. Ich erzählte von Užupis, und so beschlossen wir, gemeinsam dort Essen zu gehen und später Užupis im Dunkeln zu besichtigen. Unser Weg führte zunächst an moderner Bebauung nahe des Campings vorbei.











20.08.2025
Heute machte ich eine neue Runde durch die Stadt, denn ich wollte unbedingt eine weitere Gaskartusche kaufen (die ich letzten Endes gar nicht brauchte). Dieses mal per Rad. Zunächst ging es vorbei an der ältesten Kirche und anderen Denkwürdigkeiten.






Natürlich hatte der nächstgelegene Laden keine Gaskartuschen, zu einem weiteren führte mich der Weg dann über den Fluss Neris bis in das moderne Geschäftsviertel mit architektonisch interessanten Hochhäusern. Vilnius ist also nicht nur eine große Altstadt voller staunender italienischer Touristengruppen…








Anschließend erkundete ich die Burg mit dem Gediminas Turm, aber bereits von deren Umfassungsmauer hatte ich eine hinreichend gute Aussicht in alle Richtungen über Vilnius, so dass ich mir den teuren Eintritt für den Turm erspart habe. Ich radelte noch zu einem Restaurant, bestellte mir eins der vielen Kartoffelgerichte, für die Litauen bekannt ist und da es der Vorhersage nach nachmittags für 2 Stunden heftig regnen sollte, zog es mich zum Camping zurück. Die Regenpause nutzte ich dann wieder, um O2 zu erreichen und endlich konnte ich per Telefon meine SIM-Karte sperren lassen und gleichzeitig eine Neue bestellen, die ich dann nach Rückkehr zuhause vorfinden sollte.







Kurzfristig entschloss ich mich, um 18 Uhr noch eine kostenlose geführte Stadttour (auf Spendenbasis) mitzumachen, die mir noch einige zusätzliche Einblicke in die Geschichte bieten sollte.












Am Abend war ich dann zu müde, trank am Camping noch ein Bier und schlief bald im Zelt ein.
21.08.2025
Ich verließ Vilnius relativ zeitig, vorbei an der Kathedrale, dann die lange Gedimino Straße entlang, dieses Mal auf einem richtigen, gut ausgebauten Radweg, der später parallel zur Autobahn verlief, bis ich auf eine Nebenstraße Richtung Trakai abbog.


Trakai war ein Zwischenziel für diesen Tag. Er war im 14.Jahrhundert für sieben Jahre Hauptstadt des Großfürstentums Litauen, das sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer ausdehnte, bis diese nach Vilnius verlegt wurde. Hier gibt es eine Inselburg, durch Brücken, auf denen Radfahren verboten ist, mit dem Ort verbunden. Also schob ich das Rad durch die Menschenmassen, die das gleiche Ziel hatten, und parkte es samt Gepäck vor der Burg. Dann begann ich mich an der Schlange vor der Kasse anzustellen, bis mir klar wurde, dass mir für einen mehrstündigen Besuch einfach die Zeit fehlte und so erhaschte ich wenigstens einen Blick in den Innenhof.











Ich musste mir unbedingt noch Sonnencreme kaufen und die bekommt man in Litauen nicht im Supermarkt, sondern nur in der Apotheke. “Vaistiné” auf Litauisch. Dazu musste ich durch den Ort. Und erstand dort eine sehr teure Sonnencreme – Auswahl schien es nicht zu geben.






Die anschließende Landstraße führte durch eine malerische Landschaft, war aber auch anspruchsvoll hügelig und nicht gerade verkehrsarm. Mein Ziel war ein kleiner privater Campingplatz, der mir von der deutschen Familie in Vilnius empfohlen war und etwas abseits an einem See liegt. Fast wäre ich der Anziehungskraft einer anderen kostenlosen Wiese mit Toilette an einem See 11 km vor meinem Ziel erlegen, aber ich besann mich rechtzeitig genug, um dort noch lange vor Sonnenuntergang einzutreffen. Ein großer Schäferhund mit deutschem Namen (inzwischen vergessen) bewachte das Haus des Eigentümers. Ich begrüßte den Hund und dann kam auch der Besitzer und wies mir einen schönen Platz für 10 € zu.










22.08.2025
Da musste ich morgens schwimmen!




An diesem Tag ging es nach Kaunas. Zunächst wollte ich so schlau sein, eine kürzere Variante nördlich der Autobahn zu erkunden, aber das scheiterte wieder mal an fehlender Wüstenbereifung. Also Kehrtwendung und schön zurück zu einer besseren Route über kleinere gut geteerte Straßen. Ich besichtigte eine Kirche, die wegen Bauarbeiten geöffnet war, fuhr über Hügel und schaute noch einmal über den Ilges-See, an dem ich ja gezeltet hatte.





Bis plötzlich abrupt der gute Straßenbelag endete und für anderthalb Kilometer wegen lockerem Schotter schieben am Straßenrand angesagt war. Irgendwem muss hier das Geld ausgegangen sein.
Zum Glück ging es ab dem nächsten Dorf einigermaßen normal weiter, immer in einigem Abstand zur Autobahn. Nach deren Unterquerung bei Rumšiškės hatte ich nur die Wahl zwischen einem Waldweg für eine nicht klar erkennbare Länge – immerhin halbfest – zu fahren oder einen langen Umweg in Kauf zu nehmen. Ich entschied mich für den Waldweg und zum Glück hatte ich nach 4 km wieder festen Boden unter den Reifen und erreichte so auch die ersten Häuser der Außenbezirke von Kaunas, der zweitgrößten litauischen Stadt. Bis zu meinem Ziel, ein AirBnB-Zimmer, sollten es noch 25 km sein. Die Strecke entpuppte sich als eine echte großstädtische Herausforderung, teils ohne Radweg, dafür umso mehr Verkehr. Und fast wäre ich überfahren worden! Als ich ungeduldiger Mensch, um einen Ampelstau abzukürzen, von der zu schmalen Fahrbahn auf den zu schmalen Fußweg wechselte, musste ich einem tief hängenden Ast ausweichen, rutschte mit dem Vorderrad wieder auf die Fahrbahn und kippte dann komplett um. Zu meinem Glück stoppte der Verkehr sofort und ich räppelte mich unter meinem Rad hervor, hievte alles wieder auf den Fußweg und stellte fest, dass das dies Halterung meines Navis beschädigt hatte und ich ihn erst einmal lose in die Lenkertasche legen musste, wo er mir nicht viel nützte. Bei näherer Betrachtung erkannte ich, dass sich das gut mit Sekundenkleber kleben lassen müsste. Nur leider – die Tube, die ich dabeihatte, bestand nur noch aus aufgeblähter Luft.
Neuer Kleber musste her. Zum Glück kam ich an einem Baumarkt vorbei, kaufte welchen und – es hielt und hält bis heute. Der Verkehr war chaotisch, die Navigation wollte unbedingt, dass ich mich durch eine Baustelle quetsche, der Uferweg schien unerreichbar, aber irgendwie schaffte ich es, den Weg zu erreichen und fuhr dort, bis ich dann endlich an der Brücke über den Memel wieder zur Straße hoch schieben konnte, den Fluss überquerte und nach einer längeren starken Steigung auf die Straße zu meinem Quartier einbog. 2 km noch und endlich war ich da. Ein schöner Raum mit Küche, Bad und einer Waschmaschine, deren Sinn sich mir mangels Schleuder oder wenigstens einer Wäscheleine nicht erschloss. Hier würde ich die nächsten zwei Nächte schlafen und das war jetzt auch nötig!

23.08.2025
Heute blieb das Fahrrad stehen und ich machte zu Fuß eine Wanderung durch Kaunas. Kaunas war die erste Hauptstadt Litauens, von 1920 bis zur Eroberung durch die Wehrmacht 1941, nachdem es infolge des Versailler Vertrages seit Langem wieder eine eigene Staatlichkeit erlangt hatte. Vilnius und der westliche Teil des Landes gehörten zu dieser Zeit zu Polen. Als erstes lief ich durch ein parkähnliches Gelände an der Musikhochschule vorbei zur Aleksoto-Aussichtsplattform und einer Standseilbahn, die hinab zum Memel fuhr. Ein witziges, historisches Fahrzeug, mit dem man sich für ungefähr 1 € die Treppe abwärts ersparen konnte. Die Fahrt dauert dann keine 5 Minuten!










Ich überquerte wieder den Memel und lief mehr intuitiv durch die Altstadt die Vilniaus gatve, eine Fußgängerzone, entlang, aß ein Eis und schaute mir im Hof des ehemaligen Präsidentenpalastes eine Fotoausstellung über die litauische Frauenbewegung in den 1920er Jahren an.






Ich musste unbedingt ein Lederwarengeschäft finden, denn meine Gürtelschnalle war fast abgerissen. Das, das ich recherchiert hatte, sollte heute am Samstag geöffnet sein. Dem war aber nicht so. Ich versuchte es mit anderen Modegeschäften, aber alles war für Damen und sie hatten nichts Passendes. Dann stieß ich auf die große, lange sehr repräsentativ Freiheitsallee ( Laisvės alėja) mit vielen Bäumen auf dem Mittelstreifen. Rechts Fußgängerzone, links Rad- und Fußweg. Hier fand ich ein Geschäft, das zumindest zwei passende Gürtel vorrätig hatte und kaufte mir einen. Die gesamte Allee ist abwechselnd litauisch und ukrainisch beflaggt, als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. Ich kam am ehemaligen Regierungssitz, einem klotzigen Gebäude im Bauhaus-Stil, vorbei, das zu Sowjetzeiten als Provinzverwaltung und heute als Standesamt dient. Mit einer pathetischen Gediminas-Reiterstatue davor.









Vorbei am Staatstheater endet die Allee an der neobyzantinischen Basilika St. Michael, in der gerade eine Trauung stattfand, während in der Nähe ein weiteres, gerade getrautes Paar öffentlich feierte. Ausgerechnet jetzt war der Akku meines Fotoapparates leer und ich hatte vergessen, mir einen zweiten mitzunehmen! Also blieb mir nichts anderes übrig, als für den Rest des Tages etwas umständlicher auf die Kamera meines Tablets auszuweichen…














24.08.2025
Ich verließ Kaunas, immer dem Memel folgend und überquerte den von Vilnius kommenden Neris und den Nevizis. Beide münden hier in den Memel. Der Kurort Kulautuva bot interessante moderne Architektur. Ein guter Radweg führte an einem Platz mit unverwüstlichen Fitnessgeräten vorbei.







Ein paar Kilometer weiter endete die gute Radwegoberfläche und es fing an zu regnen.
Zunächst nur leicht, aber ich zog das erste Mal seit Posen meine Regenbekleidung an. Der Weg, den ich für meine Route vorgesehen hatte, um näher am Memel zu fahren und nicht die verkehrsreiche 142 nutzen zu müssen, wurde immer schlechter und gabelte sich dann. Ich nahm die rechte Variante und geriet in tiefe Furchen, die mich stürzen ließen. In diesem Moment kam ein deutsches Radreisendenpärchen und halfen mir auf. Wir fuhren gemeinsam noch ein Stück weiter, um tiefe Pfützen herumkurvend, bis eine auch für diese jungen Leute zu steile, lehmige Steigung kam und wir kehrt machten.




Zurück zur Gabelung. Dann wurde der Weg befahrbarer. Sie waren nun schneller unterwegs als ich. In Vilkija gab es einen Imbiss, und da traf ich sie wieder. Wir unterhielten uns und von dort aus entschieden wir, doch auf der 141 zu fahren. Aber sie waren zu schnell für mich und ich ließ sie einfach fahren. Mich stört so etwas nicht mehr, Jüngere sind eben fitter, da muss ich mich nicht vergleichen oder anpassen. Außerdem herrschte die ganze Zeit Gegenwind. In Seredžius sah ich das Hinweisschild eines Lebensmittelladens. Ich bog dorthin ab und hoffte, dort einen Kaffee trinken zu können. Leider gab es keinen, aber er hatte ein Angebot, wie ein General Store in den USA, von Schrauben über Schuhcreme bis hin zu Lebensmitteln. Gegenüber begann eine lange Treppe aufwärts zur Anlage einer ehemaligen Hügelburg, von der aus ich eine wunderbare Aussicht über die Memelwindung hatte. Ein einst strategisch interessanter Ort.



Nachdem ich weiterfuhr, nahmen Gegenwind und Regen immer mehr zu. Ich trank endlich meinen Kaffee in der nächsten Tankstelle, beobachtete besorgt das Wetter durchs Fenster und überlegte, wie es weitergehen sollte.

Bei diesem Wetter irgendwo wild zu zelten, war für mich undenkbar. Noch 32 km bis zum nächsten Campingplatz, bei dem ich hoffte, eine Hütte mieten zu können. Wieder nahm der Regen zu. Ich fuhr wie in einer unendlichen Waschanlage und fühlte mich wie 2017 in Neufundland, nur dass es damals dort mit 8°C wesentlich kälter war. Meine Regenbekleidung versagte völlig. Auch meine neue norwegische Regenhose, die angeblich eine Dichte von 20 l pro cm² hatte, war komplett durchnässt und natürlich auch die Hose darunter. Nirgends war etwas zum Unterstellen in Sicht. Die weiter oberhalb der Straße liegende Burg Panemuné ließ ich rechts liegen. Erst 500 m vor dem Campingplatz nahe Šilinė konnte ich mich patschnass unter ein Vordach flüchten.



Ich hielt mich da nicht lange auf und zum Glück konnte ich eine Hütte für 37 € mieten. Die war natürlich unbeheizt und im Inneren herrschten die gleichen 13°C wie draußen. Ich spannte eine Leine und hing einen Teil meiner Sachen dort auf, den anderen trug ich quer über den riesigen, aber fast leeren Platz zum Wäschetrockner. Ich traf auch das Pärchen, das ich früher getroffen hatte, dort wieder. Sie zelteten an einem überdachten Tisch mutig und hatten das Wetter deutlich besser als ich überstanden. Ihre Regenjacken von Marmot und Patagonia waren dicht geblieben, obwohl sie schon ein paar Jahre alt waren. Aber erst einmal fror ich und verkroch mich in meiner Hütte unter meiner Bettdecke und wartete darauf, dass der Wäschetrockner mit meinen Sachen fertig sein würde. Erst beim späteren Schreiben dieses Blogs bemerke ich lächelnd, dass dieser Campingplatz “Medaus Slénis” heißt, zu Deutsch Honigtal und erinnere mich, dass es dort auch Honig zu kaufen gab.



25.08.2025
Meine Sachen auf der Leine waren an diesem Morgen noch feucht, so dass ich sie nun auch zum Trockner brachte. Die Sonne schien, aber am Nachmittag (!) sollte es wieder regnen. Ich frühstückte mit dem deutschen Pärchen, deren Namen ich leider vergessen habe. Sie erzählten, dass er aus Dresden und sie aus Köln sei und in Aachen studierten. Ihre Fahrräder hätte er allein zusammengebaut, was ich sehr bemerkenswert fand. Obwohl es sich zuzog, wollten beide bald aufbrechen. Ich schenkte ihnen noch eine meiner Gaskartuschen, denn mit dem, was ich noch hatte, würde ich die letzten 4 Tage locker reichen. Als sie dann aufbrachen, fing es entgegen der Vorhersage schon am Vormittag wieder an zu regnen. Ich rechnete meine restlichen Kilometer durch und entschied, dass ich heute nicht weiterfahre. Die ca. 200 km würde ich auch in 3 Tagen locker schaffen. Ich ging zur Rezeption und verlängerte meine Buchung entsprechend. Dann fragte ich die Dame, ob sie irgendetwas zum Schuhe trocknen hätte, denn meine waren leider noch komplett feucht. Und schon lieh sie mir einen elektrischen Schuhtrockner! Ich wusste gar nicht, dass es so etwas überhaupt gibt und nahm ihn erfreut mit in meine Hütte.
Man müsse hier auf alles vorbereitet sein, meinte sie lächelnd auf mein Erstaunen hin.
Nachmittags schien die Sonne und ich holte den Besuch der Burg Panemuné nach, aber da schon wieder graue Wolken drohten und ich keine Lust hatte, wieder nass zu werden, beschränkte ich mich auf das Äußere und ging noch kurz einkaufen. Kaum war ich zurück, brach ein heftiger Schauer los!






26.08.2025
Ein kalter, sonniger Morgen brach an. Ich sah beim Aufbruch am Eingang zum Platz einen Camper mit einer Nummer aus Brandenburg und sprach überrascht die Fahrerin an. Wir kamen ins Gespräch, natürlich auch über das Wetter und dass ich mich gerade ärgerte, mal wieder irgendwo einen meiner Radhandschuhe verloren zu haben. Sofort bot sie mir ein paar Handschuhe an und da sie recht dünn waren, gab sie mir noch ein paar Wollhandschuhe. Einfach so. Ich war positiv überrascht und bedankte mich herzlich.
Heute sollte es ins ehemalige “Memelland” gehen, einst der nordöstlichste Zipfel des Deutschen Reiches. Google Maps zeigt einige Orte auf Deutsch an, genau wie in Polen, was ja historisch informativ ist, aber einem für die aktuelle Orientierung wenig nützt. Ich werde im Folgenden wie im Kapitel Polen beide Varianten nennen. Ziel für mich war heute in Panemuné/Übermemel ein Motel mit nur 4 km Umweg, denn in der Stadt Pagegiai/Pogegen gab es keinen Campingplatz und alle Hotels waren ausgebucht. In Jurbarkas /Georgenburg hielt ich mich nicht weiter auf. Ich verließ die 141, als an einer alten Brücke mit der Aufschrift “Mažoji Lietuva” (Klein Litauen, ein historischer Begriff), links die 300 Jahre alte Allee nach Smalininkai/Schmallinicken abbog. Eine echte preußische Allee. So etwas hatte ich bisher in Litauen nicht gesehen. Ich fuhr zum ehemaligen Hafen, dem letzten des Deutschen Reiches an der Memel, von dem nicht viel übriggeblieben ist. Ab hier ist das andere Flussufer russisch (Oblast Kaliningrad). Im Dorf gibt es einen Glockenturm und einen Gedenkstein in einer Parkanlage, die an die deutsche Zeit erinnern, errichtet von ehemals vertriebenen Deutschen. [Bilder] Ich war erstaunt und lernte, dass Litauen ohne Groll auf die gemeinsame Vergangenheit als eine litauisch/deutsche Mischkultur zurückblickt, die endete als mit dem Nahen der Roten Armee Hitler 1944 alle Deutschen aus dem Memelland zwangsevakuieren ließ. Weiter fuhr ich und immer auf Spurensuche, denn ich bin ganz allgemein historisch interessiert. Klein Litauen wiederum ist die historisch-ethnische Region im Nordwesten des heutigen Litauen, bewohnt von preußischen Litauern („Lietuvininkai“). Sie umfasst Teile des ehemaligen Ostpreußens, darunter auch das Memelland. Dagegen ist Memelland der preußisch-administrative Bezirk, der nach dem Versailler Vertrag von Frankreich verwaltet, aber 1923 handstreichartig von Litauen okkupiert wurde, was die Franzosen widerspruchslos hinnahmen, denn sie hatten eh keinen Nutzen davon.

Weiter durch diese Region begegnete mir der Name des Schriftstellers Johannes Bobrowski. In Vilkyskiai/Willkischken befand ich mich plötzlich auf der Johaneso Bobrovskio gata und wunderte mich. Stammte dieser deutsche Schriftsteller von hier? Es gibt sogar ein Johannes-Bobrowski-Gymnasium! Nähere Recherchen ergaben aber, dass dieser oft seine hier im Ort lebende Großmutter besuchte und ebenso die Dörfer in der Umgebung. Dies spiegelt sich in seinem Roman Litauische Claviere wider. Es gibt eine restaurierte Evangelische Kirche und die Rekonstruktion seines Berliner Arbeitszimmers im Gemeindehaus. Leider geschlossen, als ich dort war.






















Bald stößt die Fernstraße 141 nun auf die Europastraße 77, die die Verbindung zwischen Belorussland und dem Kaliningrader Oblast ist oder besser, war, denn die Straße, gebaut um auch größere Verkehrsmengen aufzunehmen, lag in gähnender Leere vor mir. Am Motel angekommen, empfing mich eine schlecht Englisch sprechende Frau, die dann eine andere holte, als ich fahrlässiger Weise auf Russisch meinte, dass ich einmal in der Schule Russisch gelernt habe. Fortan plauderte diese, eine Ukrainerin wie ich später bemerkte, als sie, während ich zu Abend im Restaurant aß, mit einem blau-gelben Wischmopp hantierte, munter auf Russisch auf mich ein und zeigte mir mein kahles Zimmer mit 4 Betten, das ich aber als Einzelzimmer gebucht hatte. Ich blieb aber allein darin. Und mir fielen selbst die einfachsten russischen Vokabeln nicht mehr ein.. Draußen sprach mich ein einsamer russisch sprechender Biker an. Ich lächelte und nickte nur.




Jetzt war ich unheimlich neugierig auf diesen Ort geworden. Schon 2 km vorher gab es eine wie ausgestorben da liegende Grenzabfertigung für LKW, die von der E 77 abbiegt und über eine extra gebaute neue Straße zu einer extra dafür gebauten neuen Brücke führt. Hier im Ort befindet sich der ältere Grenzübergang über die immer noch so heißende Königin-Luise-Brücke nach Sowjetsk, früher Tilsit. (Den gleichnamigen Käse haben die Russen nicht mit umbenannt, dachte ich mir.) Ich ging durch eine Parkanlage, vorbei an einem Friedensengel so nah wie möglich ans Ufer heran und warf einen Blick auf die andere Seite. Da lag die Stadt, einst Tilsit. Ein wie ein zufälliges architektonisches Element wirkendes Z auf einer Hauswand drohte herüber. Die Brücke links von mir, jetzt mehr wie ein bombastisches Denkmal. Auf litauischer Seite wehten stolz eine ukrainische und eine litauische Flagge. Kein Mensch, nirgends.
Am Grenzübergang leuchtete eine rote Ampel still vor sich hin.
Das EU-Embargo gegen Russland wegen des Krieges gegen die Ukraine zeigt eindrucksvoll Wirkung. Der Oblast Kaliningrad kann wohl nur noch per Schiff oder Flugzeug versorgt werden oder man müsste langwierige Kontrollen in Kauf nehmen.
Ein Büro für die Transitgebühr – ausgestorben. Das Postamt – zu verkaufen. Eine rote blinkende Leuchtschrift im Fenster eines leeren Gebäudes bot einen Taxiservice an.
Man darf ja die Brücke nicht zu Fuß überqueren. Aus dem Fenster eines anderen Hauses beobachtete mich ein Mann neugierig. Ich glaube, ich habe während dieser Zeit in Panemuné, der kleinsten Stadt Litauens, mit knapp über 200 Einwohnern weniger als 10 Menschen gesehen. Was für eine bizarre Erfahrung, die ich am anderen Morgen noch vertiefte, als ich mir das alles noch einmal im Frühnebel ansah…














27.08.2025
Noch 3 Tage und ich würde Litauen wieder verlassen. Aber zuerst musste ich nach Šilutė / Heydekrug und von dort zu einer Fähre über die Kurische Nehrung radeln. Zurück über die einsame E 77 zur 141. Brötchen erstand ich im ersten Supermarkt in Pagegiai/Pogegen. In Litauen gibt es übrigens ein ähnliches Backwarenangebot wie in Deutschland! Dann weiter durch die wenig interessant wirkende Stadt. Ich bog aus reiner Neugierde zur Bahnstation Stoniskiai/Stonischken ab, die erkennbar die litauische und deutsche Bezeichnung trug, aber wohl nicht mehr für den Personenverkehr genutzt wurde. Einen Güterzug sah ich später vorbeifahren. Ich hielt dann an einer ehemals deutschen Evangelischen Kirche. Ein Mann gärtnerte dort mit seinem Bruder. In gebrochenem Deutsch erzählte er mir, dass er Holzbildhauer sei und aus Nida/Nidden käme. Leider war die wenig genutzte Kirche verschlossen, aber ich umrundete sie und macht ein paar Fotos.










Ich erreichte Šilutė / Heydekrug. Auch hier gibt es eine nach der Unabhängigkeit wieder vollständig restaurierte Evangelische Kirche. Der Gemeinde gehören 800 Menschen an, und das in einem Land mit zu 87% katholischer Bevölkerung. Die Kirche steht jetzt auf der nationalen Liste schützenswerter Kulturgüter.




Es folgte ein ultramodernes Kulturzentrum.
Ich musste leider feststellen, dass die Standard-Fährverbindung über die Kurische Nehrung am nächsten Morgen, einem Donnerstag, nicht verkehren würde. Aber man gab mir einen Hinweis auf eine andere Fährverbindung. Dazu musste ich 20 km weiter nach Mingé fahren, ohne schon zu wissen, wo genau ich dort zelten würde. Ich fuhr am geschützten Memeldelta entlang, rechter Hand befand sich jedoch zu meinem Erstaunen ein großes Torfabbaugebiet, obwohl damit ungeheure Mengen gebundenes CO² freigesetzt werden und es eigentlich eine Konvention zum Schutz der Moore gibt. Für die letzten 5 km musste ich dann wieder mit einem der “beliebten” Schotterwege vorliebnehmen, bis ich dann in Mingé ankam, einem zweigeteilten Dorf am gleichnamigen rechten Nebenfluss des Memel. Beide Seiten des Dorfes sind weder mit einer Fähre noch mit einer Brücke direkt verbunden. Zum Glück kam ich auf der richtigen Seite an.
In Mingé entdeckte ich auch einen komfortablen, aber völlig leeren, bei Google Maps nicht aufgeführten Campingplatz. Die Fährstation war gekoppelt an ein Restaurant und eine Herberge. Rings herum waren Segelboote vertäut. Ich hatte vorsichtshalber schon online ein Ticket gebucht und wollte nun erfahren, ob ich auf der Wiese des Geländes zelten dürfe. Es war aber niemand da, den ich fragen konnte, bis eine Frau kam, die auch nicht zuständig war und einen telefonischen Kontakt zu einer Verantwortlichen herstellen konnte, die mich in schlechtem Englisch davon überzeugen wollte, doch ein Zimmer im Haus für 60 € zu mieten. “No, please, I don’t need a room, I have a tent and can pitch it up on the meadow, if you allow it.” Schließlich willigte sie ein. Das Restaurant schien nur geöffnet zu sein, wenn es gebucht wurde. Ansonsten war alles vorhanden: Toilette, Dusche, eine Veranda und ein Platz zum Essen kochen für mich. 10 € sollte das kosten, aber es kam nie jemand, um zu kassieren…















28.08.2025
Die Abfahrt der Fähre war auf 08.30 Uhr festgesetzt, und ich schaffte es rechtzeitig mit Packen und Frühstücken fertig zu sein. Ein anderes Radfahrerpaar aus Deutschland gesellte sich hinzu, so dass ich Gesellschaft bei der zweistündigen Überfahrt hatte.









[Bilder] In Nida/Nidden war ich anlässlich einer Baltikum-Radreise 2006 schon einmal (Talinn – Klaipėda https://cyclingtraveller.com/2021/12/27/radreisen-vor-2015/)
Ich stellte mein Zelt im oberhalb des Ortes gelegenen Campingplatz auf und fuhr dann Mittagessen,- das erste Mal seit langer Zeit wieder Fish’n Ships! Anschließend ging es zum Thomas-Mann-Haus, quasi ein Pflichtziel für Besucher aus Deutschland, die nicht nur Comics lesen.












Ich ging noch Kaffee trinken und fuhr dann zurück, dabei crashte ich, als ich mit dem Vorderrad in vollem Tempo an einer blöden Kante hängen blieb und lädierte mir Hose und Knie! Das reichte für den Rest des Tages: Knie verarzten, Hosenbein flicken, Bein hochlegen und wieder fit werden für die letzten 63 km am nächsten Tag…
29.08.2025
Mein Knie schmerzte immer noch, aber zum Glück nahmen die Schmerzen beim Radfahren nicht weiter zu, als ich am Vormittag nach Klaipėda/Memel startete. Der erstklassige Radweg führt fast die gesamte litauische Länge der Kurischen Nehrung entlang, vorbei an den Dünen, für die man jetzt 5 € Eintritt bezahlen musste und die ich meinem Knie ersparte. Ich beließ es bei einem Kaffee am Eingang und freute mich über die Bewunderung meiner Leistung durch eine junge Radsportlerin aus Vilnius. Ich war ja schon auf vielen Dünen der Welt, einschließlich dieser, gewesen. Obwohl ich noch gut Zeit hatte, spürte ich einen gewissen inneren Druck, weil man ja 2 Stunden vor dem Ablegen zum Check-in an der Fährstation im Hafengelände sein sollte. Aber erst einmal weiter, denn der Radweg kam mir endlos vor.















Für Radfahrer gibt es im Sommer die Fußgängerfähre, die alle halbe Stunde direkt in der Nähe der Altstadt die Mündung des Kurischen Haffs überquert. Vor dort kann man das Panorama der Stadt bewundern. Ich besuchte dann noch das Simon-Dach-Denkmal mit Ännchen von Tharau obenauf, ging in ein Restaurant am Theaterplatz, machte dann einige Zick-Zack-Wege durch einen Park und bewunderte ein al Restaurant dienendes Segelschiff, dann fuhr ich langsam zu meinem Fährhafen, entlang viel befahrener Straßen und kam rechtzeitig dort an. Nach 1350 km war ich am Ziel.









Die Fähre legte mehr als pünktlich ab und erreichte Travemünde ebenso pünktlich nach 24 Stunden.


Schlussfolgerungen:
Für Polen: In den Ferien oder rund um Feiertage wie Mariä Himmelfahrt muss man damit rechnen, dass Campingplätze bis in die Nacht hinein zum Feiern genutzt werden. Also besser vorher nach Alternativen suchen.
Für beide Länder: Wenn man schlecht befahrbare Wege nicht vermeiden kann, sind entweder breitere Reifen als 42 mm oder ein besten ein gefedertes Mountainbike sinnvoll. Mit leichterem Bike-Packing -Setting sicher auch ein Gravelbike. Mit genauerem Studium der zu erwartenden Wegeoberflächen kann man eine geplante Route eventuell optimieren.
Litauen ist etwa um 1/3 teurer als Polen. Die Preise, außer für Restaurants, ähneln mehr denen in Deutschland.